Wie ich es erlebe

Ich habe es heute erst mitbekommen, als ich zum Frühstück Radio hörte. Nur, dass in Paris eine Anschlagsreihe passiert ist.

Als ich später in einem Café sitze, schnappe ich mir die „Berliner Morgenpost“, mit der Achtsamkeit, das bei dieser Zeitung die ‚Verpackung‘ vom ‚Inhalt‘ zu trennen ist.

Mit aller Deutlichkeit stelle ich fest, wie die ‚Verpackung‘ dieser Zeitung zur Meinungsmache missbraucht wird, wie die Art der Berichterstattung mir Gefühle unterjubeln will.

Ich lese Details über den Vorgang der Ereignisse. Ich lese Zitate von führenden Politikern.

Etwas schmerzt so sehr, das mir die Tränen kommen, als ich folgendes Zitat von Frau Merkel lese: „Wir weinen mit ihnen. Wir werden gemeinsam mit ihnen den Kampf gegen die führen, die ihnen so Unfassbares angetan haben.“

Ich konnte mit dem Verstand erst gar nicht greifen, was mein Herz da fühlte. Es fällt mir schwer, das in Worte auszudrücken.

Frau Merkels Betroffenheit schmerzte mich so ungemein, weil ich sie ihr nicht glauben konnte. Ich konnte sie ihr nicht glauben, weil sie für die Einen in der Welt galt und für Andere nicht. Damit wurde diese Betroffenheit unwahr und für mein Gefühl zu einem Instrument, um die Massen zu lenken. Das machte mich in dem Moment so dermaßen traurig. Mehr Worte finde ich nicht.

Ich musste dann in Bad flüchten, weil ich die Tränen und Schluchzer nicht mehr zurückhalten konnte.

Als Barak Obama zitiert wird, wurde mir übel. Da stimmte von vorne bis hinten etwas für mich nicht.

Warum fühlen sich die Reaktionen der politischen Ebene alle so künstlich, unecht, nach Schauspiel und Bühne an? Warum kommt mir der Mensch darunter wie eine Marionette vor?

Dass ich so stark emotional reagiere, kam so noch nicht vor. Mir ist der Ursprung meiner Gefühle auch nicht in ihrer Gesamtheit klar. Vielleicht fühle ich auch das Leid und den Schock der Betroffenen vor Ort.

Heute war auch so ein Tag, an dem mein Bewusstsein nicht in den Wachzustand wechseln wollte. Nach viel Schlaf, ging ich deshalb in den Wald. Bodenkontakt suchen. Stellte sich nicht her. Ich war mittendrin so entkräftet, dass ich mich nur noch raus schleppte, auf eine Bank in einer Bushaltestelle. Dort suchte ich aktiver den Kontakt zur Sitzunterlage und kam sofort in ein Weingefühl. Keine Ahnung, ob das schon die Emotionen zu den Ereignissen waren.

Ich weiß, dass ich im direkten Kontakt mit Menschen, deren Emotionen in mir selbst wie meine eigenen fühle und oft genug auch nicht mitbekomme, dass es gar nicht meine eigenen sind, weil es so eins zu eins ist, mit allem drum und dran, auch an Körperempfindungen.

Vielleicht empfinde ich dadurch auch Massenstimmungen. Ich bin mir fast sicher, dass das so ist. Auf jeden Fall, wenn ich in dieser Masse stehe. Ob auch bei Massenemotionen auf weitere Entfernung und großer Fläche verstreut? Keine Ahnung.

Als ich jedoch mit der Verletzlichkeit in mir, in dieser Bushaltestelle in Kontakt kam, war meine erste Assoziation die Vorfälle in Paris. Da wusste ich noch gar nichts Konkretes. Das war vor dem Café.

Der erste Impuls zeigt aus Erfahrung oft die Spur. Wissen tu ich es trotzdem nicht.

9 Kommentare zu “Wie ich es erlebe

  1. Vetch sagt:

    Ich behaupte mal, deine unmittelbare Reaktion auf Merkel und Obama ist ein Indiz dafür, dass du eine gesunde, klare Wahrnehmung hast. (Ich lese bloß den Guardian-Blog, da kommt schon genug Pseudo-Blah mit…)

    • sophie0816 sagt:

      ich bin da sehr unsicher mit meinen emotionalen reaktionen, auch sie zu teilen. eigentlich weiß ich viel zu wenig über all diese sachen. geschichte, politik, weltgeschehen. ich verfolge das nicht. kaufe keine zeitungen, sehe keine nachrichten. fühle mich nicht in der lage, zu diesen dingen eine meinung zu bilden. es kommt mir falsch vor.
      trotzdem kommen diese empfindungen. ich weiß nicht wie wahr sie sind oder ich sie sehen darf. ich finde das so heikel mit der meinungsbildung.
      aber vielleicht sind die gefühle noch das wahreste. beim ganzen rest ist so viel verstand/ego usw. mit dabei. realitätstunnel und so.
      danke für dein feedback!

      • Vetch sagt:

        Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass wir alle im Innern _wissen_, was heilsam ist, und was nicht.
        Und dass dieses Wissen, dieses Empfinden überlagert und zensiert und gefiltert wird vom Verstand, von den Regeln unserer Gemeinschaft, von dem, was uns einprogrammiert wird, damit wir normal und vorhersehbar funktionieren.

        Dass wir z.B. erst dann ‚korrekt‘ empfinden könnten, wenn wir eine Meinung hätten, und die richtige Meinung könnten wir erst haben, wenn wir ausreichend informiert wären. Und was das bedeutet, ‚ausreichend informiert‘, das bekommen wir auch reingerieben: Es ist ein Zustand, den wir niemals erreichen können, weil, irgendwer hat dann doch noch einen Artikel mehr gelesen als wir.

        Ich les auch keine Zeitung, ich guck kein Fernsehen, hör kein Radio. Ich propagiere das nicht, weil ich mich tatsächlich manchmal dafür schäme (weil ich da nicht normal bin). Außerdem waren meine Eltern Journalisten, alle beide. Die sind da nicht zufrieden mit mir…

        Und weißte was? Ich vertraue – vielleicht grad deswegen – trotzdem meiner Wahrnehmung, meinem Empfinden und meiner Einschätzung, auch wenns um Politisches und aktuelles Weltgeschehen geht.

        Es geht ja auch nichts ums Bewerten, es geht nicht darum, ob du recht hast mit deiner Einschätzung. (Allerdings: Ich denke ja. 🙂 ) Es geht darum, dass du deine unmittelbaren Empfindungen wahrnimmst, und die wahr, weil sie SIND.
        Und ich kann sehr gur nachvollziehen, dass du auch die Medien meidest. Das ist auch ne Form von Sich-Schützen.

        Sorry, jetzt kam mir so’n langer Text raus. X)

      • sophie0816 sagt:

        tut gut zu lesen was du schreibst. unterstützt eine seite in mir, die noch wachsen darf.
        zusätzlich zum thema ’sich informieren‘ habe ich das gefühl, dass ich nie richtig informiert wäre, weil alle informationen schon zerstückelt, verändert, unwahr, unvollständig bei mir ankommen. damit finde ich es auch unmöglich, objektiv informiert zu sein. dazu ist auch alles viel zu komplex.

      • Vetch sagt:

        Objektivität ist auch so ein unerreichbarer, märchenhafter Zustand…

      • sophie0816 sagt:

        hmmm… jetzt wo du es sagst. 😉

  2. Zarah sagt:

    Ich kann mich Vetch nur anschließen – ich glaube, deine Gefühle bezüglich der PolitikerInnen-Zitate trafen voll ins Schwarze. Und du mußt nicht übers Tagesgeschehen informiert sein, um deinen Gefühlen zu vertrauen. Dein gesamtes Bewußtsein kriegt nonstop mehr Informationen mit, als dein Verstand erfassen kann, und deine Gefühle leiten dir das weiter.

    Übrigens hab ich 2011 mal einige Monate lang kontinuierlich Nachrichten gehört (nach mehrjähriger Medienabstinenz), nachdem das mit Fukushima passiert war. Der Effekt war ziemlich interessant: Je mehr ich mich in diese Nachrichtenschiene einklinkte, desto mehr hatte ich das Gefühl, keine Nachrichtensendung mehr verpassen zu dürfen, weil mir ja etwas Wichtiges entgehen könnte. Es hatte richtiggehend eine Art Suchteffekt. Gleichzeitig merkte ich, wie meine Wahrnehmung immer „stumpfer“ wurde. (Um das wahrzunehmen, reichte es gerade noch. 😉 ) Ich hab mich dann da wieder ausgeklinkt, aber es war eine lehrreiche Erfahrung. Von daher denke ich mal, dein Gefühl ist wahrscheinlich umso treffsicherer, gerade wenn du nicht durch die Medien abgestumpft bist.

    Interessant, daß du schreibst, viel zu schlafen. Ich bin heute um 14 Uhr wach geworden und dachte schon, ich bin nicht ganz normal … 😎

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..