Seit gestern Abend fühle ich mich sehr klein. Klein, ängstlich und verletzbar.
Diese schweren Gefühle stoßen immer wieder in kurzen Wellen durch die angespannte Gedankenmauer. Viel Denken, panisch Denken, denken, ich müsste jetzt ganz dringend irgendetwas für mich tun, irgendeine Aktion starten, zeigen mir auf, dass ich starke Gefühle nicht loslassen kann, nicht fühlen kann. Was ich dann wahrnehme ist Unruhe, Anspannung, Selbstverletzungsgedanken, Verzweiflung, verkrampfter Körper, vor allem harter Unterbauch.
Ich mache Yoga. Das hilft dabei es durchzulassen, die Verkrampfung schubweise zu lösen, bevor sie sich wieder zusammenzieht. Ich muss immer wieder unterbrechen, weil ich so weinen muss. Ich fühle mich verloren. So unglaublich verloren. Wieder Zeit für Daumenlutschen, Kopf festhalten und zusammengerollt in einer Decke liegen, mit einem Kissen vor dem Bauch. Das Gefühl sitzt im Unterbauch. Im Sakral- und im Wurzelchakra.
Ich komme nicht mehr darum herum. Die Beziehung zu meiner Mutter will geklärt werden. Ich bin heute zum Essen eingeladen und wir hatten offen gelassen, ob ich meiner Mutter auch eine Reiki-Behandlung gebe.
Ich will weglaufen. Doch es geht nicht mehr. Ausweichen geht nicht mehr. Zu drängend ist es in mir, auszusprechen, wie ich mich in dieser Beziehung fühle. Diese Vorstellung löst wiederum extreme Angst auf. Alles wankt. Alles fühlt sich nach Zerbrechen an. Alles fühlt sich so an, als würde es zerstört werden und am Ende nichts mehr übrig bleiben. Und trotzdem drängt es mich, den Schritt zu gehen.
Ich rufe sie an, um das Mittag zuzusagen. Sie sagt auch noch, ich solle wirklich nur kommen, wenn ich auch will. Ja, ich will, sage ich. Sie weiß noch nicht, dass ich wegen des Gespräches will und nicht wegen des Essens. Aber stehe an einer Stelle für mich ein und sagte, dass das mit der Behandlung heute nicht passt.
Ich sitze im Bus. Immer wieder steigen Tränen auf. Ich bin gedanklich in dem Gespräch. Es fühlt sich alles unendlich traurig und schmerzhaft an. Ich habe Angst.
Blass, mit verweinten Augen und ungewaschenen Haaren stehe ich vor der Tür, die mein Vater öffnet. Ich kann nicht mehr so tun, als ob nichts wär (das kann ich wohl sonst sehr gut). Es ist mir ins Gesicht geschrieben. Das fängt mir einen Kommentar ein, dass ich wohl immer dünner werde.
Ich lege mich ab und gehe ins Zimmer wo meine Mutter am PC sitzt. Wir begrüßen uns. Ich würde am liebsten sofort losheulen. Sie sagt, dass es gleich Essen gibt und ich sage daraufhin mit zittriger Stimme, dass ich heute eigentlich nur da bin, um ihr etwas zu erzählen.
Nun ist es raus. Es gibt kein Weg zurück mehr. Ich spüre die Anspannung in der Luft. Sie sagt okay. Ich warte im Wohnzimmer. Bin unruhig. Laufe hin und her. Wechsle zwischen mit den Tränen kämpfen oder gar nichts fühlen. Sie kommt. Auch sie ist angespannt. „Mir ist schon ganz schlecht.“, sagt sie und hat Sorge, dass sie irgendwas falsch gemacht hat.
Ich kann erst mal gar nicht sitzen, laufe unruhig hin und her und starte damit, dass ich jetzt nichts erwarte, außer dass sie mir zuhört. Ich will einfach nur sprechen. Und dass sie so lange wartet, bis ich fertig bin.
Dann kann ich mich hinsetzen. Und schon mit den ersten Worten kann ich nichts mehr zurückhalten und ich weine meine Erkenntnisse und Gefühle heraus.
So in der Art, dass ich in unserer Beziehung so verständnisvoll bin, ihr alles recht machen möchte, möchte das sie sich wohlfühlt, damit sie mich lieb hat. Und wenn ich nicht so bin, ich denke, dass sie mich dann nicht mehr lieb hat. Das ich, seit dem ich Jugendliche war, dass bewusste Gefühl habe mich um sie kümmern zu müssen.
Sie steht auf, setzt sich neben mich und nimmt mich von der Seite in die Arme. Ich Kann es zulassen, weine noch mehr und sage: „Kann es sein, dass das das erste Mal ist, das du mich in die Arme nimmst?“ Sie: „Ich war immer so unsicher. Ich habe auch Zeit gebracht, um das zu lernen.“ Dann brauche ich wieder Abstand und bitte sie aufzuhören. Sie setzt sich zurück.
Ich rede weinend weiter, dass ich das alles bei unserem letzten Treffen zum ersten Mal gemerkt habe. Dass ich gemerkt habe, dass wir eigentlich nicht gut zueinander passen. Dass mir ihr Verhalten sehr weh tun. Dass ich mich nicht gesehen fühle. Aber wegen meiner Angst, nicht mehr geliebt zu werden, mich nicht abgrenzen konnte. Das es mir deshalb so schlecht ging. Und das ich so oft gemeinsamen Aktivitäten nur zustimme, weil ich von ihr geliebt werden will. Aber eigentlich passt es gar nicht. Es passt auch nicht, mal gemeinsam in den Urlaub zu fahren (wie sie mal vorschlug).
Sie: „Das erste was mir dazu einfällt ist, schade, dass du so fühlst. Das brauchst du gar nicht.“
Ich: „Sag das nicht. Ich weiß, dass ich es nicht brauche, aber ich fühle so. Sprich lieber von dir.“
Sie: „Bei mir ist das ganz anders.“
Sie kommt wieder zu mir und nimmt mich in den Arm. Ich kann es diesmal nicht mehr ganz annehmen, aber lasse es zu. Sie versichert mir, dass sie mich auch lieb hat, wenn ich mal klare Worte spreche. Dass sie das sogar will, dass ich sage, was ich denke. Ich bitte sie schneller, von mir abzulassen. Sie bleibt neben mir sitzen.
Ich, wieder weinend und mit einem Schuldgefühl: „Ich habe dir was vorgemacht. Ich habe uns was vor gemacht. Ich habe das auch geglaubt, dass wir gut zueinander passen, eine Freundschaft haben. Aber nun weiß ich gar nicht mehr was bleibt. Ich erzähle dir das glaube ich auch, damit du verstehst, warum ich vielleicht in nächster Zeit etwas Abstand suche und auch erst mal Behandlungen nicht in Frage kommen.“
Sie reagiert darauf verständnisvoll. Sie: „Und mein Verhalten nervt dich.“ (Bezug auf unser letztes Treffen)
Ich: „Nein! Es tut weh. Ich fühle mich nicht gesehen. Ich fühle es so, als würde ich nicht existieren. Es ist mehr als genervt sein. Ich sage nein, und du hörst einfach nicht auf. Ich fühle mich immer wie ein kleines Kind, was nicht in der Lage ist für sich selbst zu sorgen und ich schaffe es nicht, mich dann abzugrenzen.“
Sie: „Für mich war das nicht so (das ich für sie nicht existiere). Ich weiß, ich kann nicht loslassen. Das ist das, was mir auch auf Arbeit schon gesagt wurde und ich auch von Papa höre. Das habe ich Papa gar nicht erzählt. Ich habe immer noch ins Zimmer geschaut, um dir gute Nacht zu sagen (als ich mit 24 Jahren ausgezogen war).
Sie fängt an zu überlegen warum ich so fühle. Findet keinen Grund. Hat aber so eine Ahnung, dass das was sie gegeben hat damals nicht gereicht hat. Ich gehe nicht darauf ein. Es ist auch nicht wichtig, in dem Moment.
Ich bin alles losgeworden und werde ruhiger. Es bleibt bei mir, danach zu handeln, was ich fühle. Das kann mir keiner abnehmen. Das okay dafür, von meiner Mutter reicht nicht. Die Angst kommt aus mir. Ihr muss ich mich stellen. Mich verloren und ungeliebt zu fühlen kommt aus mir. Dem muss ich mich stellen.
Ich stehe alleine auf dem Balkon. Gleich die erste Übung. Ich fühle, dass ich lieber gehen möchte, nicht zum Essen bleiben will. Es ist so verdammt leicht, diese Gefühle zu übergehen. Argumente folgen, warum ich bleiben sollte. Ich teile meinen Eltern mit, dass ich gehe, dass es sich besser anfühlt. Es wird von beiden spürbar akzeptiert und angenommen(das erste Mal ohne Gegenworte? Ich weiß es nicht).
Wann habe ich mich das letzte Mal so vor meiner Mutter gezeigt? Vielleicht mit 15 Jahren, als meine Eltern für eine Weile getrennt lebten. Meine Mutter suchte ein Gespräch und fragte mich, wie für mich die Trennung ist, wie ich mich fühlte. Ich weinte sehr. Damals konnte sie mich noch nicht in den Arm nehmen. Ich blieb alleine mit meinen Gefühlen.