Familie

Erkenntnis:

Wenn man den Willen eines Kindes bricht, dann hat man am Ende einen erwachsenen Menschen mit gebrochenen Willen und gebrochener Persönlichkeit.

Weil er meinen Willen als Kind gebrochen hat, habe ich heute mit einem gebrochenen Willen und einer gebrochenen Persönlichkeit zu tun.

Das war meinem Vater damals nicht bewusst.

Ich glaube, dass er auch heute noch nicht seine Verantwortung an meinem So-gewachsen-sein, mit den heutigen Einschränkungen und Behinderungen annehmen kann.

Und ich selbst traue mich auch nicht so richtig, die Verantwortung bei meinen Eltern zu sehen.

Handeln aus Liebe oder im Erziehungscamp

Ich bin vom Konstrukt des Inneren Kindes, zum Konstrukt des Egos gewechselt (überwiegend, nicht ausschließlich). Da lässt sich aktuell mehr mit fassen, was ich in mir erlebe. Kindliches Fühlen und Denken ist ein Teil des Egos.

Jedes Fühlen, Denken und Handeln, welches sich aus inneren Vorstellungen und gemachten Erfahrungen gründet, ist für mich das Ego. Es ist meine gewachsene Persönlichkeit. Es sind meine Glaubenssätze. Es sind meine Ängste. Es sind meine Freuden. Es sind alle Bewertungen. Usw.. Es ist alles, was als Reaktion auf äußere und innere Reize geschieht.

Der Buddhismus würde das wohl mit dem ‚Bedingten Entstehen‘ erklären.

In meinem Verständnis hat jeder dieses Ego und braucht es auch, um agieren zu können, um Erfahrungen sammeln zu können, um sich in der materiellen Welt bewegen zu können.

Ein Ego verschwindet nicht, aber es kann sich weiter entwickeln. (Vielleicht verschwindet es dann auch für ganz Ausgewählte.)

Ich bin seit dieser Woche mehr im Kontakt damit, in jedem Moment zu erkennen, wo reagiere, denke, fühle ich aus dem Ego und zu sortieren, an welchen Stellen die ich dort erkenne, ist es Zeit sich weiterzuentwickeln, loszulassen, neues zu lernen.

Das ist ganz schön umfassend, eine Tagesbeschäftigung, besonders im zwischenmenschlichen Miteinander. Es erfordert echt viel Aufmerksamkeit und Achtsamkeit und ist nicht leicht, wenn Trubel um einen herum ist.

In der Übersetzung der inneren Elternschaft, komme ich mir vor, als wäre ich als Eltern in einem Trainingsprogramm (Dauer unbestimmt), wo sich alles konsequenter, zielgerichteter, aufmerksamer, um die Begleitung des Kindes dreht.

Heute auf Arbeit hatte ich eine herausstechende Situation.

Ich saß vor dem Laden, machte eine Pause und genoss die Sonne. Ich war ganz bei mir und entspannt. Ein Kollege setzte sich neben mich. Die innere Reaktion war ein zusammenziehen und –krampfen. Ich fühlte Unruhe und Unsicherheit und den Wunsch weg zu gehen. Mein Ego meldete ‚Bedrohung‘.

Es ist für mich nichts Neues, das in mir etwas so reagiert. Hier habe ich den Wunsch mich weiterzuentwickeln, vor allem, weil ich das Thema hinreichend durchforscht, durchfühlt und erkannt habe. Es sind leere Muster geworden.

Mir kam das Bild von lauter kleinen, jungen Hunden, die in mir sitzen und bei entsprechenden Auslösern nach außen springen, sich vor mich stellen, knurren, bellen, Schwanz einziehen, Distanz oder Barrieren zu mir schaffen, um mich zu beschützen. Ich ziehe sie ganz behutsam, vorsichtig, aber konsequent an ihrer Leine wieder zu mir zurück und setze sie auf meinen Schoß. Ich vermittle ihnen damit: „So nicht!“, „Hier spielt die Musik“, „Bei mir bleiben“ und „Alles ist gut.“ Manche benötigen nur ein zurückziehen, manche brauchen noch das liebevolle Streicheln auf meinem Schoß, manche müssen erst noch in ihrer Reaktion verstanden werden, um sich zu beruhigen.

Da sind wirklich viele Hunde! Man, hab ich mir ja was vorgenommen. 🙂

Ich denke an Umerziehung, obwohl ich das Wort nicht mag. In der Heilsitzung wurde mir gesagt, ich solle mehr mein Ego kontrollieren. An dem Wort habe ich noch mehr herum gewürgt. Ich wählte dann ‚korrigieren‘. Diese Worte sind alle negativ besetzt, doch im Endeffekt ist es das.

Ich kontrolliere mit dem Hintergrund von Erfahrungen, Wissen und Erkenntnissen, was für meine Entwicklung förderlich und was hinderlich ist. Ich begleite mich und gebe immer wieder kleine Impulse für die Richtung, wo es hingehen soll. Das wichtigste dabei scheint mir die Verbindung zum Herzen. Ohne die intuitive Weisheit/Wahrheit des Herzens, werden die Worte ‚Erziehung‘, ‚Kontrolle‘, ‚Korrektur‘ zu machtausübenden Egoanwandlungen, gegen mich selbst gerichtet.

Ja, das ist das Zentrum des Handelns. Handeln aus Liebe.

 

Nachtrag:

Komme gerade vom Yoga. Es wird so super bewusst, auch dort. Meine Nachbarin macht während der Übungen geräuschvolle Gefühlsbekundungen. Ich (mein Ego) reagiere innerlich genervt und denke: „die will doch nur Aufmerksamkeit“ und fühle eine Bedrohung, dann selbst nicht genügend zu bekommen. Zurück gezogen auf meinen Schoß, weg von der Nachbarin, umarme ich dieses Denken/Fühlen in mir, erkenne alten Mangel und fühle im Herzen, das dieser heute nicht mehr nötig ist.

Die unsinnige Sache mit der Schuld

Wow, was war das denn!
Das Telefon klingelt. Ich liege noch im Bett. Ich höre die Stimme meines Opas Ostergrüße aufs Band sprechen. Mein schlechtes Gewissen klopft an meine Stirn.

Mein Opa und meine Stiefoma. Sie leben nicht in der näheren Umgebung. Schon immer weiter weg, auch in meiner Kindheit. Ach verdammt… ich müsste mich da viel regelmäßiger melden. Mein Opa ist hartnäckig. Spricht Feiertag für Feiertag Grüße auf mein Band oder schickt eine Postkarte. Viel Futter für mein schlechtes Gewissen. Die Stimme der Eltern im Kopf, heute wie damals. Ruf da an und sag danke schön. Das macht man so. Das ist Höflichkeit. Melde dich doch mal bei deinen Großeltern. Du kannst deine Großeltern auch besuchen fahren. Und auch sie selbst weisen mich in langen Abständen immer wieder darauf hin. Jedes Mal zieht sich alles in mir zusammen und ich fühle – ich will nicht.

Also wieder ein Anruf auf meinem Band und die gefühlte Aufforderung, du musst zurückrufen und dich dafür bedanken. Den letzten Anruf, ich glaub zu Weihnachten?, hab ich unter den Teppich fallen lassen. Wollte einen Brief schreiben, aber hab es dann vergessen oder auch nicht gewollt. Gewolltes Vergessen. Jetzt muss ich aber. Nochmal keine Reaktion, macht das schlechte Gewissen zu einem Monster, welches mich auffrisst.

Ich liege immer noch im Bett. Meine Gedanken laufen. Vielleicht hängt ja auch mein Opa in dieser man-muss-ja-Schleife und ruft nur aus einem Verpflichtungsgefühl so regelmäßig an? Vielleicht ist das auch etwas, was er hinter sich bringt und froh ist, wenn es vorbei ist? Interessanter Gedanke. Das muss ich ihn mal fragen. Dann könnten wir uns das beide einfach sparen. 🙂

Und ist es ihm eigentlich zu wenig, unser Kontakt? Ein Anruf und ein Brief im Jahr? Oder reicht ihm das vielleicht? Ist er traurig? Wünscht er sich mehr? Er hat auf meine zwei Briefe nicht geantwortet. Wie ist unsere Verbindung? Es hat doch auch einen Grund, warum ich mich nicht mehr melde, warum ich kein Bedürfnis habe zu Besuch zu fahren. Unsere Verbindung war von meiner Seite aus nie nah. Liegt vielleicht auch an der Entfernung. Liegt vielleicht auch an dem Menschen selbst, der er ist.
Okay, heute werde ich zurück rufen und ihm genau diese Fragen stellen. Ich stehe auf. Nehme das Telefon. Schwitze und zittere. Tippe vor Aufregung nur die halbe Nummer ein. (Wie in Träumen, wo ich nie die richtigen Tasten treffe) Geh dann doch erst mal auf Toilette. Atmen. Erneuter Versuch. Richtige Nummer. Opa ist am Telefon. Starte mit den üblichen Floskeln – danke für die Grüße und so – und gehe dann gleich in die Vollen.

„Ich wollte dir ein paar Fragen stellen, die uns betreffen und wünsche mir ehrliche, offene Antworten. Ich melde mich ja nicht so oft. Wie ist das für dich?“

Den genauen Wortlaut bekomme ich nicht mehr zusammen. Das ist nur angelehnt.

Er scheint sehr überrascht, über diese Frage und weicht erst mal aus. Ich stelle die Frage dann noch mal.
Er: „Ach, das ist in der ganzen Familie so. Wenn ich mich da nicht melde, dann kommt nichts zurück. Du bist ein Teil dieser Familie.“
Ich, schmunzelnd: „Du glaubst also, dass liegt in unseren Genen?“
Er, lachend: „Ja, genau.“
Ich: „Aber heißt das, du hast dich daran gewöhnt und es ist okay für dich?“
Er: „Jein. Jein. Ich würde es schon schön finden, wenn man mal zu Feiertagen oder zu meinem Geburtstag an mich denkt.“
Ich: „Weißt du, meine Verbindung zu dir ist nicht sehr nah. Früher auch schon nicht. Deshalb kommt bei mir nicht so oft das Bedürfnis mich zu melden. Nun habe ich gehört, dass du dir z.B. zum Geburtstag Anrufe wünschst. Das sind für mich so feste, vorgegebene Termine die mit einem Verpflichtungsgefühl verbunden sind. Ich möchte dich nicht anrufen, nur weil ich das Gefühl habe ich muss. Was aber nicht heißt, dass ich euch nicht leiden kann.“
Er: „Das verstehe ich.“ (eine für mich völlig unerwartete Antwort!)
Ich: „Ich möchte mich melden, wenn mir danach ist, wenn ich es will.“
Er: „Aber du brauchst Impulse. Sonst würdest du doch gar nicht anrufen?“
Ich: „Ja, das stimmt. Oder nein, ich hab auch vor ein paar Monaten mal von mir aus daran gedacht und mich dann nicht getraut. Warum auch immer.“
Er: „Du brauchst doch vor mir keine Angst haben.“
Ich, lachend: „Ja, das weiß ich doch. Ich hatte wohl Angst davor wie es wird, ob wir uns verstehen.“ (Erst nach dem Telefonat habe ich begriffen, dass ich Angst vor meinem eigenen Schuldgefühl hatte, welches dann spürbar geworden wäre mit einem Kontakt.)
Er: „Du, wenn ich was nicht verstehe, frage ich nach.“ (So war das zwar nicht gemeint, aber okay… :))
Ich: „Und auf meine Briefe hast du nicht geantwortet, weil Schreiben nicht dein Ding ist?“
Er: „Genau richtig.“

Dann sind wir in ein allgemeines Gespräch übergegangen, wie es uns so geht.
Ich sprach dann noch kurz mit meiner Stiefoma. Sie hatte von dem Telefonat vorher nichts mitbekommen und lud mich wieder zu einem Besuch ein. Ich wollte aus alter Gewohnheit erst irgendeinen Grund vorschieben, wie kein Geld oder so und sprach dann aber auch ihr gegenüber aus, das mein Bedürfnis nicht so stark ist, weil ich ihnen nicht so nah bin. Und auch sie, ich kann es kaum fassen, hat dafür Verständnis, begründet es mit der großen räumlichen Distanz, die schon immer da war.

Ich erzähle ihr noch von der anstehenden Reha und das dann meine Wohnung hier frei wäre, falls sie einen Stadturlaub machen wollen. Sie freut sich. Findet das eine gute Idee. Und so endet dieses Telefonat in guter Stimmung.

Ich bin so perplex, dass ich erst mal gar nichts fühle und sehr neben mir stehe. Wie kann es sein, dass man sich über Jahre und Jahrzehnte mit Gefühlen aller Art plagt und in einem einzigen Telefonat alles bereinigt wird? Wieso bekommt man als Kind nicht beigebracht, zwischenmenschliche Dinge anzusprechen und zu klären? Wieso bekommt man als Kind nicht beigebracht, dass es wichtiger ist auf sein Herz zu hören und die Gründe für sein Handeln zu verstehen und zu vertreten, als äußeren Regeln blind zu folgen. Ich wurde speziell in diesem Fall ganz offensichtig zu Schuldgefühlen erzogen. Das hätte gar nicht zwangsläufig so sein müssen.

Da kommt mir die Frage – ist jedes Schuldgefühl anerzogen? Hätten wir von Natur aus gar nicht solch ein Gefühl?

Neulich auf dem Amt

Im Wartebereich. Neben mir sitzt ein junges Pärchen. Schätzungsweise zwischen 18-20 Jahre alt.

Sie: „Überleg mal, X und Y streiten sich jetzt schon über die Erziehung. Die Kleine ist gerade mal 2 Wochen alt. Er will nicht, dass sie sie jedes Mal auf den Arm nimmt, wenn sie schreit. Aber ist für ne Mutter ja auch nicht leicht.“

Er: „Ne. Wenn sie dann schreit und keiner kommt, dann lernt sie das und schreit auch nicht mehr.“

Ich, innerlich: AUA. AUA. AUA. Ein Teil fängt an zu weinen. Verzweiflung. Ein anderer Teil, denkt sich – sie wissen es nicht besser. Jemand muss es ihnen sagen. Jemand muss ihnen sagen, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf eine Kinderseele hat. Unbedingt. Ich kämpfe mit diesem Drang. Der Warteraum ist voll. Ich empfinde mich als übergriffig, mich in ihr Gespräch einzumischen. Sage nichts. Es plagt mich eine lange Zeit. Gott sei Dank, redeten sie dann über andere Themen.

Es ist so traurig, dass solche Vorstellungen noch gang und gäbe sind. Ich weiß es nicht genau, aber ich nehme an, dass mittlerweile in jedem aktuellen Elternratgeber dazu etwas anderes steht. Oder irre ich mich? Elternkurse sollten nach meinem Gefühl Pflichtprogramm sein. Man könnte damit beiden Seiten so viel ersparen. Die Überforderung der Eltern und die Entwicklungsstörung des Kindes.