Göttliche Berührungen

Ich lehnte mich mit dem Rücken an einen großen Baum, mit leicht schrägem Stamm und ließ mich halten. Ich war weit weg. Weg von der Welt.

Der Wind ließ die um mich herum herabhängenden Zweige, mit ihrem noch frischen, zarten Grün, in meine Richtung wiegen und plötzlich hatte ich das Gefühl, sie wollten mich trösten, mich liebkosen und beruhigen. Alles ist gut. Ich musste weinen. Es berührte mich zutiefst.  Ich war nicht mehr weit weg. Ich war in der Welt. Ich fühlte den Wald, wie er mich hielt und beschützte, meine Seele streichelte. Wäre da nicht ein Fußweg gewesen, hätte ich mich sanft in diese Zweige eingewickelt und mich dem Gefühl ganz hingegeben.  Beschützt sein. Gehalten sein. Und mir wurde bewusst, wie sehr es genau dieses Gefühl war, welches mir in der Kindheit gefehlt hatte.


Ein Online-Seminar, am Tag des Vollmondes, um den göttlichen Heilstrom zu empfangen. 30 Minuten sitzen, Stille lauschen, sich spüren, Worte hören. In friedlicher Ruhe sein. Ganz am Ende, zum Abschluss ein Musikvideo. Taizé – Behüte mich Gott. Eine Hitze durchläuft mich. Eine Gänsehaut ergreift mich. Mein ganzes Sein wird berührt und Tränen fließen. Überrascht.


Über den Glauben nachdenken, so nebenbei am Morgen im Bett, während ich mich mit meinem Körper verbinde. Ich sehe mich fallen, Rücklinks, jedoch nicht endlos, sondern landend auf einem weißlich, milchigem Grund. Ein Geistesblitz durchzuckt mich. Ja, genau!

Was ist, wenn ich glaube, so ganz und gar, mit Haut und Haaren, mich hingebe, loslasse, abgebe, führen lasse? Ja was ist, wenn ich dann erkenne, erfahre, dass der Glaube nicht wahr war, ein Irrweg, ein Trugschluss, eine Täuschung? Was passiert mit mir? Was ist, wenn ich dann zerspringe und stürze und falle und sterbe, weil es nicht mehr gibt, was vorher alles war? Bin ich bereit zu sterben, um glauben zu können?

Dieses Bild! Auch wenn ich sterbe, auch wenn ich falle, falle ich trotzdem auf einen Grund. Falle ich auf das, was übrig bleibt. Nach allem Glauben, allen Vorstellungen. Etwas bleibt, etwas ist da, auch wenn ich falle und sterbe.

Braucht es den Glauben, um ihn verlieren zu können, um daran zu sterben, um die Erfahrung des wirklich Göttlichen zu machen? Das Etwas was immer ist, was keinen Glauben braucht. Nur die Erfahrung.

So ist es geschehen.

Die spirituelle Krise aus dem letzten Jahr wird etwas klarer.

Da ist ein leerer Ort in meiner Brust

Momentan ist es nicht leicht. Schon länger nicht. Und immer wieder anders nicht leicht, mit anderen schweren Themen im Hintergrund, die sich die Türklinke reichen. Es ist okay, aber es ist schwer. Ich versuche jeden dieser Momente zu nutzen, um nachzuspüren, um bei mir zu bleiben, den Raum zu öffnen, dass alles sein darf was sich zeigen will. Doch es ist schwer. Ich laufe auch Irrwege. Ich verlasse mich auch. Es ist schwierig zu fühlen, was man braucht, wenn man sich selbst gefühlsmäßig schwer verorten kann.
Seit fast einer Woche schwebend. Zweigeteilt. Weg und da. Losgelöst. Schwebend zwischen Himmel und Erde. Der Körper funktioniert. Das Funktionieren funktioniert. Aber viel von mir ist nicht da. Oder ist da, aber nicht hier, sondern woanders. Wo ist das? Ein regelfreier Raum. Ein kontrollfreier Raum. Ein bodenloser Raum. Ich habe Alkohol getrunken in diesem Raum, in dem Glauben mir damit näher zu kommen. In dem Glauben, in diesen Raum damit Trost fließen lassen zu können. Erst die Wirkung ließ mich erkennen, dass ich anstatt zu mir, von mir weg kam. Erst da sah ich, dass ich mir so nah war wie näher nicht ging. Nah bedeutete die Leere zu spüren. Die Leere in mir. Die Unverbundenheit zum Leben. Ich stand am Bahnhofsgeländer. Lehnte mich an, den Blick in die Tiefe und stellte mir vor, wie es wäre zu fallen. Einfach loslassen. Frei schweben. Ungehalten. Ein Blick in meine Gefühlswelt.
Heute Morgen wache ich auf. Und wieder dieses wahnsinnige Verlangen etwas zu konsumieren. Etwas in diesen Raum in mir zu füllen. Wieder die Herausforderung nachzuspüren. Wo ist dieser Raum? Wie fühlt er sich an? Was fehlt ihm? Ein leerer Ort in meiner Brust. Da bin ich alleine. Da bin ich niemand mehr. Da bin ich verloren, haltlos. Da soll etwas hin, was es lindert, was es hält, was es tröstet.
Es scheint der Ursprung meiner Suchterkrankung zu sein. Die Suche nach der Linderung der Leerheit, der Haltlosigkeit. Die Suche nach einem haltenden Rahmen. Etwas was es umschließt und trägt, damit ich mich nicht mehr so verloren fühle. Ich komme immer wieder auf Trost. Mich trösten lassen. Nie von außen erhalten. Darauf angewiesen, es selbst zu tun. Wie kann ein Kind sich selbst trösten? Deshalb vielleicht das sehr lange Daumenlutschen, was mit sieben Jahren überging ins Nägelkauen und bis heute anhält. Deshalb vielleicht der Drogenkonsum.
Es ist so anstrengend. Das Nachspüren. Das Fühlen. Oder auch Nichtfühlen. Das Verlangen aushalten. Schlafe sofort nach dem Frühstück wieder ein. Außen existiert kaum, kann ich kaum wahrnehmen. Versuche mir Trost und Spüren auf andere, angemessene Art zu geben. Essen, schmecken, Duftbad, Rückzug gewähren, Mütze auf dem Kopf für das Sicherheitsgefühl, Daumen in den Mund, ein kleiner Spaziergang. Und immer wieder zulassen, dass es im Moment so ist wie es ist. Nicht dagegen ankämpfen. Hab ich schon gesagt, dass es anstrengend ist?

Der neuste Streifen mit dem Titel „Bodenlos“

Erstes Bild

Jetzt. Eine aufgeklappte Leiter in der Raummitte. Darüber eine Lampe die nur noch an ihren Stromkabeln hängt. Radiomusik. Eine Frau die bäuchlings mit angezogenen Beinen und Armen auf dem Boden liegt. Sie schmunzelt und dann fängt sie an zu weinen. Schnitt.

Nächste Szene

Ein Sommertag in einer Kleingartenkolonie. Ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, rennt lachend einen Weg in einem Garten entlang. Hinter ihr ihre Freundin. Plötzlich ist der Boden weg. Schnitt.

Nächste Szene

Vor zwei Wochen. Die Frau liegt nachts schlafend in ihrem Bett. Sie wacht auf, weil sie etwas gehört hat und schläft dann wieder ein. Am nächsten Morgen entdeckt sie in ihrem Wohnzimmer, dass die Deckenlampe nicht mehr an der Decke hängt. Sie baumelt nur noch an zwei Kabeln. Sie hadert mit dem Gedanken es selbst zu reparieren oder sich Hilfe zu holen und verschiebt diese Klärung auf später. Schnitt.

Nächste Szene

Das kleine Mädchen liegt auf einer Hollywoodschaukel. Darum herum stehen Menschen. Darunter sind ihre Oma und die Eltern der Freundin. Sie pullert in ihre Hose und kann nichts dagegen machen. Sie hofft, dass es niemand sieht. Wahrscheinlich steht sie unter Schock. Schnitt.

Nächste Szene

Am Tag zuvor. Die Frau liegt auf ihrer Couch. Musik läuft. Sie versucht zu entspannen oder zu schlafen, weil es ihr elend geht. Aufstehen ist nicht möglich. Sie erinnert sich an einen Sommertag in einer Kleingartenkolonie, wo sie damals in ein Kellerloch gestürzt ist. Sie erinnert sich, wie sie auf dem Rücksitz des Autos ihrer Eltern sitzt, auf dem Weg ins Krankenhaus. Vater fährt den Wagen, Mutter sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie erinnert sich, dass sie während sie da sitzt nur aus Schuld besteht. Sie fühlt sich schuldig für den Sturz, für ihre Verletzungen. Darüber fängt sie an zu weinen. Und dann wird sie kurz zornig und fragt sich, wie dass sein kann, dass sie sich für etwas schuldig fühlt wofür sie nichts kann. Sie erinnert sich wie sie beim Arzt sitzt, mit diesem riesigen Schuldgefühl. Der ist der Richter. Er wird entscheiden was wahr ist. Er wird ihr nicht glauben. Er wird sagen, dass doch alles nicht so schlimm ist, sie übertreibe und doch nichts passiert ist. Schnitt.

Nächste Szene:

Vor ca. 10 Minuten. Die Frau liegt auf ihrer Couch. Musik läuft. Sie öffnet die Augen und spürt, dass Aufstehen jetzt möglich wäre. Dabei fällt ihr Blick auf die Deckenlampe. Heute ist es soweit, denkt sie sich. Heute werde ich es anpacken. Sie kramt das bisschen Glauben an sich selbst zusammen, was sie sich in den letzten zwei Wochen erarbeitet hat. Ich kann das auch alleine. Was soll schon passieren. Ein Schritt nach dem anderen. Das Ziel außer Acht lassen. Dazwischen ist genügend Zeit zum überlegen. Also rauf auf die Leiter und erst mal nur die gebrochenen Dübel von den Schrauben drehen. Unsicher richtet sie sich auf der obersten Stufe der Leiter auf und fängt an am Dübel zu drehen. Sie spürt wie ihr komisch wird. Ihr Herz fängt an zu rasen und ihre Atmung wird kurz und hektisch. Oje, doch nicht etwa ein Panikanfall. Dann mal lieber runter von der Leiter und auf den Boden legen. Dort wartet sie. Der Boden fühlt sich sicher an und es beruhigt sich in ihr. Sie betrachtet die Situation von außen und muss schmunzeln. Wie das für einen Beobachter wohl ausgesehen haben mag? Im nächsten Moment fängt sie an zu weinen. Was ist hier los? Was passiert hier? Schnitt.

Nächste Szene:

Am Tag davor. Die Erinnerungen laufen weiter, gehen zurück zu dem Sturz. Die Bilder sind lückenhaft. Die Perspektive von oben auf die Situation, außerhalb des Mädchens. Dann wieder sie selbst, spürbar. Das Loch. Die Schwärze. Die Tiefe. Mauerwand an ihrem Gesicht. Jemand steht unten. Sie stürzt auf ihn. Das Gefühl zu fallen. Ihr fällt ihre Höhenangst ein. Nicht die Angst vor der Höhe, sondern die Angst zu fallen. Schnitt.

Nächste Szene:

Die Frau steht auf. Sie gibt sich nicht geschlagen, setzt sich an den Küchentisch und versucht schreibend die Situation zu erfassen. Vor was habe ich Angst? Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Ich falle von der Leiter. Ich bekomme einen Stromschlag. Ich mache die Lampe kaputt. Ich schaffe es nicht, sie an der Decke zu befestigen. Während des Schreibens beschleunigt sich erneut die Atmung. Wo war bei diesen Dingen die Angst am größten? Ich glaube es war die Leiter. Dieses unsichere Gefühl. Die Entfernung vom Boden. Sie steht auf, schaltet den Strom ab und stellt sich dann erneut, ganz bewusst der Situation. Schon ein Fuß auf der ersten Stufe der Leiter bringt ein Weingefühl hervor. Als sie sich mit beiden Füßen auf die erste Stufe stellt, steigt sofort der Angstpegel, Atmung und Puls spulen sich hoch, mit einem bodenlosen, haltlosen Drehgefühl. Okay, das reicht. Mehr Auseinandersetzung muss nicht sein. Also es ist tatsächlich die Leiter. In dem Moment fällt ihr ihre Erinnerung von gestern ein. Sturz. Fallen. Bodenlos. Höhenangst. Angst.

Ist das heute also eine Reaktion auf die Reaktivierung der Erinnerung von gestern? Interessant.

Dann hole ich mir wohl doch mal Hilfe für die Reparatur. Will vielleicht jemand meine Rolle in diesem Streifen übernehmen? Ich gebe die gerne mal für ein paar Wochen ab 😉