Und trotzdem ändert sich was

Ich sitze hier, in einem seelischen Ausnahmezustand, der schon eine ganze Weile anhält und denke darüber nach, wie viel doch auch besser geworden ist.

Eine Seite lacht dabei irre in mir auf, ist es für sie doch inakzeptabel, dass ich mich wieder in einer seelischen Not befinde, in einer schweren Krise. Das ist doch so gar nicht besser geworden und alles andere zählt anscheinend nicht.

Trotzdem denke ich darüber nach, wie vieles doch besser geworden ist.

Ich habe Lebensmittel im Haus, weil ich trotzdem noch in der Lage war den Lieferservice in Anspruch zu nehmen.

Ich erlaube mir auch, weiterhin die Haushaltshilfe zu nutzen.

Die Selbsthass-Spirale kann ich seit Tagen und Tagen immer wieder mit Selbstfürsorge, Mitgefühl und Verständnis auffangen. Sogar für das selbstschädigende Verhalten, dass sich nach zwei Jahren doch wieder seinen Ausdruck gesucht hat, konnte ich im Anschluss da sein und weiteres Schuld-/Schamdenken auffangen.

Ich finde immer wieder Momente der Ruhe und des Klarsehens darüber was hier eigentlich los ist.

Ich finde durch den Tag, orientiere mich Schritt für Schritt.

Ich finde immer wieder Momente des Loslassens von akuter Anspannung, von Angst, Panik und Dauersorgen. Loslassen meint hier Zulassen, immer wieder ein JA finden zu dem was gerade ist.

Und das wesentlichste! Ich finde immer wieder Halt in etwas Größerem, Vertrauen darin, dass es mich hindurch trägt durch jeden Moment, wie traurig, gewalttätig, leer, haltlos, verzweifelt, aufgegeben er auch sein mag.

Das alles führt dazu, das ich hier in meiner Wohnung sitze und nicht auf der Krisenstation bin! Was wiederum dazu führt, dass ich mehr Ruhe und Zeit für mich habe und weniger heftigen Zusatzstress.

Und da sag mal einer, es hat sich so gar nichts verändert!

Weiterentwicklung des Leids

Nachdem ich gestern meine Erkenntnisse zum Thema Leiden hatte und sie aufschrieb, hat sich einiges verändert. Wieder mal beeindruckend!

Zu jeden Bereich wo ich geschrieben hatte, dass ich das nicht fühlen kann, bekam ich ein Gefühl. Ich hatte wieder mehr Raum und konnte besser sehen wie es wirklich ist. War schon fast befreiend.

Ich schreibe ‚fast befreiend‘, weil die Energie des Leidens nicht weg ist. Sie kam zurück und ist immer mal wieder da. Meine Position dazu ist jedoch eine andere.

Ich konnte heute etwas hinein fühlen, mit dem Bewusstsein, dass es einen Ursprung haben muss. Ich kam in undefinierte Empfindungen von krank und alleine in einem Raum sein. Und ein Warten, dass es vorbei geht. Meine Mutter wartet, dass es vorbei geht, damit sie wieder ihren Dingen nachgehen kann.

Meine Gedanken dazu waren, dass ich als Kind in Krankheiten und Verletzungen zwar körperlich versorgt wurde, aber nicht emotional. Ich wurde versorgt und dann überließ man mich mir selbst. Am deutlichsten habe ich die Erinnerung in mir, wie ich wegen Krankheit im Bett liege und höre, wie mein Vater das Haus verlässt und die Haustür von außen abschließt. Es wird abgeschlossen, wenn keiner mehr in der Wohnung ist.

Diese Erfahrung sitzt.

Wenn also damals sehr oft mein Leiden emotional nicht versorgt wurde, mir nicht geholfen wurde, damit umzugehen, es zu lindern, dann hängt es vielleicht noch im Raum.

Als ich diese Zusammenhänge etwas ergründet hatte, tat es mir leid um mein kleines Ich und ich nahm mein Leid in den Arm. Es hat ein bisschen geweint. Weinen ist immer gut. Dann ist was angekommen und das berührt mich jedes Mal aufs Neue.

Schön und lindernd fand ich dann auch, als mir ein Text in die Hände fiel, der diesen Prozess genau aufgriff. Ich habe seit bestimmt einem halben Jahr die ‚Buddhismus aktuell – Ausgabe 4/2015‘ hier rumliegen und lese in ganz großen Abständen darin. Heute nahm ich sie mal wieder und las etwas über die Praxis des Selbstmitgefühls

„Die Absicht der Selbstmitgefühlspraxis kann man folgendermaßen zusammenfassen: Wir schenken uns Mitgefühl, nicht damit es uns besser geht, sondern weil es uns schlecht geht. (…) Wenn wir Leid erleben, ist Güte die einzige sinnvolle Antwort darauf. (…) Jegliche Praxis, die wir mit einer Absicht ausüben, Leid loszuwerden, ist zum Scheitern verurteilt, da wir sie nutzen, um unsere Erfahrungen zu manipulieren und uns der Realität, wie sie ist, zu widersetzen. Selbstmitgefühlspraxis bedeutet also, sich im Geiste selbst liebevoll in den Arm zu nehmen, das Leid anzuerkennen, verstehen zu wollen und sich zu trösten und zu ermutigen, so wie wir es für einen geliebten Menschen machen würden.“

Hach ja… buddhistische Texte spiegeln sehr oft meinen Weg, meine Erkenntnisse und meinen Umgang mit mir selbst wieder.

Und auf der nächsten Seite sprang mich noch ein Werbetext an, von einem Buch von Thich Nhat Hanh, wo stand: “ Der große Weisheitslehrer zeigt, wie wichtig es ist, nach den Wurzeln des Leids zu suchen, denn erst dann können wir Mitgefühl entwickeln (…).“

Es gibt ja verschiedene Wege mit sich zu arbeiten. Für mich zeigt sich sehr oft, mir von innen heraus zu begegnen. Zu Üben, alles da sein zu lassen, was gerade ist, damit nichts zu machen und mich mit dem Moment liebevoll zu verschmelzen. Wenn es zu letzterem kommt, ich es in mir aufnehmen kann, eintauche in eine Empfindung, ein Gefühl, eine Energie, dann geschieht oft von ganz alleine eine Veränderung dieser Empfindung, dieses Gefühls, dieser Energie oder was auch immer da ist. Das ist jedes Mal irgendwie magisch, wie ein kleines Wunder.

Ich weiß nicht, ob man mit diesen Formulierungen etwas anfangen kann.

Neulich auf dem Amt

Im Wartebereich. Neben mir sitzt ein junges Pärchen. Schätzungsweise zwischen 18-20 Jahre alt.

Sie: „Überleg mal, X und Y streiten sich jetzt schon über die Erziehung. Die Kleine ist gerade mal 2 Wochen alt. Er will nicht, dass sie sie jedes Mal auf den Arm nimmt, wenn sie schreit. Aber ist für ne Mutter ja auch nicht leicht.“

Er: „Ne. Wenn sie dann schreit und keiner kommt, dann lernt sie das und schreit auch nicht mehr.“

Ich, innerlich: AUA. AUA. AUA. Ein Teil fängt an zu weinen. Verzweiflung. Ein anderer Teil, denkt sich – sie wissen es nicht besser. Jemand muss es ihnen sagen. Jemand muss ihnen sagen, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf eine Kinderseele hat. Unbedingt. Ich kämpfe mit diesem Drang. Der Warteraum ist voll. Ich empfinde mich als übergriffig, mich in ihr Gespräch einzumischen. Sage nichts. Es plagt mich eine lange Zeit. Gott sei Dank, redeten sie dann über andere Themen.

Es ist so traurig, dass solche Vorstellungen noch gang und gäbe sind. Ich weiß es nicht genau, aber ich nehme an, dass mittlerweile in jedem aktuellen Elternratgeber dazu etwas anderes steht. Oder irre ich mich? Elternkurse sollten nach meinem Gefühl Pflichtprogramm sein. Man könnte damit beiden Seiten so viel ersparen. Die Überforderung der Eltern und die Entwicklungsstörung des Kindes.