Ich liege heute Morgen im Bett, resümiere den gestrigen Tag und bin schwer beeindruckt, was sich da alles in mir bewegt hat. Innere Arbeit kann so aufregend, spannend, vielfältig, bewegend, erweiternd, anstrengend und nährend sein (und bestimmt noch mehr). Würde mich jemand fragen was ich den gestern so gemacht habe, ist das völlig unspektakulär. Ich war bis zum späten Vormittag zu Hause und habe nichts getan außer kochen, essen, am PC sitzen, auf der Couch liegen, um dann abends zum Yoga zu gehen und danach zum Geburtstag meiner Oma.
Was sich in meinem Inneren am Vormittag bewegt hat steht schon hier.
Ich war zwei Wochen nicht beim Yoga. Diesmal war alles sehr ungewöhnlich, im Vergleich zum letzten Mal und überhaupt davor.
Mein Körper fühlte sich schwimmend an, nicht stabil, mir war die meiste Zeit übel und schwindelig. Daneben gab es eine neue Art der Ruhe, aus der heraus ich alles dies betrachtete. Ich machte mir keine Sorgen darüber wie es sich anfühlte und fühlte gleichzeitig sehr präsent.
Ich erkannte meistens sehr schnell, wenn ich etwas wollte, was aber im Moment nicht ging und begegnete mir dort mit einer ungewohnten Weichheit, was ein Loslassen möglich machte. Auch neu dabei war, dass dann kaum Angst entstand, dass der Lehrer eingreifen würde, wenn ich nicht tue was er sagt.
Die nächste Überraschung war dann, als meine Beine doch tatsächlich für kurze Zeit in der Übung des schlafenden Tigers alleine getragen wurden. Das erste Mal in einem Jahr und zehn Monaten. Ich habe mich völlig frei in diese Position begeben. Kein Wollen, kein Suchen, kein Ziel, keine Angst zu scheitern, es nicht zu schaffen. Und ich fühlte ein Vertrauen in meinem Bauch, welches vorher so noch nie da war. Der Moment war kurz, doch er war da und unglaublich schön. Das sind diese Momente immer, schön… wie eine Erleuchtung, wenn man etwas findet (oder gefunden wird), wonach man aufgegeben hat zu suchen.
In der Abschlussmeditation fühlte ich mich mir selbst gegenüber ganz unbekannt. Ein sehr merkwürdiges Gefühl. Wer bin ich eigentlich? Wie als wenn ich aus dem was ich war herauswachse, die Fäden der Vergangenheit, die mich lenken, einen nach dem anderen kappe und sich damit auch mein Selbstgefühl verändert. Die Vergangenheit verliert ihren Einfluss, zieht sich langsam aus dem was man ist zurück, trennt sich von mir. Es bleibt ein Gefühl mir selber fremd zu sein oder besser, mir selber neu zu sein. Mich selbst noch nicht zu kennen. Sehr merkwürdig. Mit dem Öffnen der Augen hat sich das etwas gelegt.
So, und dann der Geburtstag. Wow, so hab ich mich noch nicht erlebt. Ich fühl mich den meisten Familienmitgliedern fremd und fern, auch meinen Großeltern. Mit meinem Opa habe ich noch nie ein offenes Gespräch auf Augenhöhe geführt. Wir steckten wohl beide immer in unseren Rollen fest. Diesmal war alles anders. Er bat mich, mich zu ihm zu setzen, neben ihn auf die Couch. Ich saß ganz nah. Wir berührten uns auf ganzer Linie. Er nahm meine Hand und hielt sie fest, auch mal mit beiden Händen. Oder er legte seinen Arm um meine Schultern und strich mir mit der Hand über meinen Hinterkopf. Sein Gesicht war so dicht an meinem, dass ich eigentlich immer nur in ein Auge sehen konnte. Sein Atem berührte mein Gesicht, schwer und süß vom Alkohol. Das ist etwas, was ich sonst nicht ertragen hätte und hart, verschlossen und zurückgezogen reagiert hätte, mit absolutem Fluchtimpuls. Doch diesmal tat sich alles in mir auf. Mein Herz war offen. Ich spürte Nähe, ehrlich Worte und konnte all das zulassen und zurückgeben. Ich konnte ohne Hemmungen in seine Augen schauen, ebenso seine Hände halten, meine Hände auf sein Bein legen. Es floss Zuneigung hin und her. Ich war so berührt. Alte Geschichten tauchten auf (ich war überrascht, was immer noch in seinem Kopf dazu geblieben ist). Das erkennen in uns, dass wir noch nie so gesprochen haben. Zuhören. Recht geben. Schuld nehmen. Ich fing vor Emotionalität an zu zittern.
Er bat mich Kontakt zu meiner Oma aufzunehmen. Sie mache sich Sorgen. Sie höre so wenig von mir und traue sich nicht mich anzurufen. Könne das aber selbst nicht zeigen. Sie würden vielleicht nicht mehr lange leben. Auch hier musste ich nicht in die Abwehr gehen. Ich konnte zulassen, dass andere sich um mich sorgte, ohne mich verantwortlich oder verpflichtet zu fühlen. Auch für meine Oma tat sich mein Herz auf. Ich konnte sie wahrnehmen in ihrer Sorge und hatte das Bedürfnis sie in den Arm zu nehmen. Ich bat sie später zu mir, so dass uns niemand sah. Und da sie von dem Gespräch und meinen Empfindungen mit meinem Opa nichts mitbekommen hatte und mir so auch Worte fehlten, fragte ich sie einfach, ob ich sie mal in den Arm nehmen dürfe. Sie war völlig irritiert und konnte nicht auf mich zukommen, so neu war die Situation (auch für mich). Ich nahm sie trotzdem sanft in den Arm und sagte, dass ich gerade keine Worte hätte, aber Opa mit mir gesprochen hat und ich die nächste Tage mal zum Kaffe vorbei kommen will, um mich in Ruhe ohne Familientrubel auszutauschen. Sie blieb sehr sachlich und gefasst.
Ich bin gespannt auf dieses Treffen und habe auch ein bisschen Angst, weil ich die Wahrheit sprechen will. Die Wahrheit ist, dass ich mich in der Vergangenheit dieser Familie nie nah gefühlt habe und aktuell sich darin etwas verändert. Die Wahrheit ist, dass es nicht meine Aufgabe ist, ihr ihre Sorgen zu nehmen. Und das sie jederzeit den Kontakt suchen kann, wenn sie wissen möchte, wie es mir geht (hat sie bisher nie getan). Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn meine Oma in der Lage wäre, auch über ihre Empfindungen unsere Beziehung betreffend sprechen könnte. Ich glaub nicht so richtig daran, aber mal sehen.