Perspektive weiten

Ich habe gerade was gefunden, was mir dabei hilft, bei schwierigen Termin, mich nicht in der Wahrnehmung der Angst festzufressen.

Die Perspektive erweitern. Aufgeschrieben auf ein kleines Zettelchen.

Heute hat mir das vor dem Gutachtertermin zum Antrag auf Erwerbsminderungsrente geholfen.

Tatsächlich kann ich mich an andere emotional hochpeitschende Situationen in der Vergangenheit erinnern und sehen, dass sie heute nichts mehr mit mir machen. Ihre Bedeutung ist verschwunden.

So wird es auch diesmal sein.

Das beruhigt mich. Erstaunlich, dass ich dazu in der Lage bin, die Perspektive so zu erweitern. Das wäre früher nicht möglich gewesen.

Auf der Rückseite der Karte habe ich noch das hier geschrieben.

Angst und Panik darf trotzdem da sein.

Ich habe zu Beginn des Gesprächs geweint, war körperlich hochangespannt, mich ständig bewegt, schnell geatmet, Blickkontakt meiden müssen.

Das darf alles gesehen werden und da sein.

Ich finde, ich habe das ziemlich gut gemacht.

Fortschritte und Schritte

Die nebenan.de-Seite macht Spaß. Schön zu sehen, wie Menschen etwas suchen und beim Nachbarn finden oder Sachen verschenkt werden und einen Glücklichen finden. Ich habe jemandem ne Tischlampe für schmales Geld abgekauft. Endlich keine Dunkelheit mehr am Schreibtisch.


Unerwartet schöner Tag. Bin froh mich auf den Weg gemacht zu haben, trotz Hürden-Gedanken. Mal wieder Stadt von seiner schönen Seite gespürt. Menschen. Leben. Gerüche, Gerüche, Gerüche. Bunte Geschäfte. Endlich ein paar Bücher Second-Hand verkauft. Das steht schon länger als ein halbes Jahr auf meiner to-do-Liste. Sonnenschein. In der Nähe vom Büro von Fr. S.. Alles so vertraut, weil hier jahrelang zur Therapie gegangen. Lächeln. Lächeln. Das tat gut, dieser Tag.


Ich sehe so viele Fortschritte, anderes Umgehen, andere Verläufe. Bin tief Dankbar. Scheine alles richtig gemacht zu haben. Jetzt bloß nicht die Spur verlieren und immer schön locker bleiben. Nicht verkrampfen. Keinen neuen Wettkampf aufmachen. Alles ist jetzt erst einmal da, darf da sein. Darf da-sein-zulassen geübt werden. Nicht leicht mit ‚ich_bin_es_nicht_wert-/ ich_habe_es_nicht_verdient,_dass_jemand_für_mich_da_ist-Mustern im Kopf.

Ich mache das ganz gut, finde ich. Jeden Tag, ob oben, ob unten. Mit Angst und Freude und Trauer und Lähmung und Lebenslust.


Ich miste weiter aus. Viele, sehr viele Papiere – vom Studium, von der damaligen Arbeit. So viel Wissen. Die Zusatzausbildung. Wo ist das hin? Alles umsonst? Schade eigentlich. Aber ich glaube, fühle nicht, jemals wieder mit von Schizophrenie betroffenen Menschen arbeiten zu können/wollen. Psychologie interessiert mich weiterhin, stelle ich fest. Von allem kann ich mich nicht trennen. Lese alte Texte, die ich damals garantiert nicht verstanden habe. Heute die eigenen Erfahrungen im Gepäck, ergibt alles viel mehr Sinn.

Ein Text vom Prof. Dr. Christian Scharfetter über das Un-Gleichgewicht von Vulnerabilität (Verletzlichkeit) und Resilienz (Widerstandskraft) und die mögliche Folge der psychischen Dekompensation. Sehr spannend. Da taucht seine Idee zu einem Gesamtbehandlungsplan auf, wo er auch dem spirituellen Aspekt Beachtung schenkt (da er auch Spiritualität als Risikofaktor sieht). Ich glaube er bezieht sich hauptsächlich auf Schizophrenie-Betroffene, erwähnt aber auch die Borderline-Diagnose:

„Auch im religiös-spirituellen Bereich ist eine Kultur der Achtsamkeit, Vorsicht, behutsamen Bescheidenheit, die Erfahrungen kommen zu lassen, das Leitmotiv – entgegen dem Erzwingen-wollen „spirituellen Erwachens“, Erleuchtung, Ekstasen, Erlösung als Befreiung von der Alltagslast des Lebens, der doch niemand ausweichen kann.“

Sehe da meinen eigenen Entwicklungsprozess.

Vulnerable Gefährdungspunkte

Ein schönes Wort. So treffend für mich. Alles kann ganz ruhig und normal laufen und dann – Peng – sagt, tut jemand oder ich selbst etwas und berührt bei mir einen vulnerablen Gefährdungspunkt und plötzlich verändert sich über Stunden und Tage mein gesamtes Selbstgefühl. Ich bin jemand anderes und werde dann irgendwann wieder ‚ich‘.

Es spricht mich sehr an, wie er mit Fragen diese Vulnerabilität respektiert und anregt, ein Leben zu finden, in dem psychohygienischen Bedingungen der Selbstüberwachung und -steuerung, Bewältigungs- und Ausweichstrategien erlernt werden, um die Resilienz zu verbessern.

Was vermeiden, was suchen? Welches ist das rechte Maß von Sozialkontakt und Isolation? Welche Techniken des „Apspacens“ sind gefährlich? Worin liegt eine vermeidbare Überforderung, z.B. im Sozial- und Berufsbereich, in den Zielsetzungen, im intellektuellen Anspruch? Wie gefährlich sind für einen Patienten starke Liebesgefühle? Wie kann er lernen, damit umzugehen, darüber mit der Therapeutin zu sprechen und so auch in diesem Bereich sozialen Lernens an sich arbeiten? Welches Maß an Schonung ist nötig, welches schädlich, weil es zu Überbetreuung, Abkapselung in der Infirmität, Hospitalismus, Institutionalismus führt? Welche Medikamente in welcher Dosis bewirken bei einem Patienten Abschirmung, Beruhigung, Befreiung von Wahn und Halluzination – welche dämpfen ihn zu viel und treiben ihn in Inaktivität, Apathie?


Ein neues Gutachten vom Medizinischen Dienst der Agentur für Arbeit steht an. Ich bin gelassen. Habe der Frau im Jobcenter aus der Reha-Abteilung ganz offen meinen Prozess geschildert. Das ich fertig bin mit dem Leistungsgedanken. Das erst einmal etwas anderes dran ist. Sie hat mir doch tatsächlich fast gratuliert, sich mit mir gefreut, dass ich Druck loslassen kann und mich um mich kümmere. Da war ich echt baff.

Ich gehe davon aus, dass der Medizinische Dienst die Arbeitsunfähigkeit bestätigt. Ob für 6 Monate oder darüber hinaus, bleibt abzuwarten. Wenn darüber hinaus, steht mir der Papierkram für einen Antrag auf EU-Rente bevor. Fühle mich damit gerade auch gelassen. Es ist wie es ist. Ich muss mich nicht mehr rechtfertigen und beweisen. Bleibt abzuwarten, ob mir diese Haltung bewahrt bleibt, wenn ich vor den Gutachtern sitze.

Jobcenter-Freuden

Mein erster Artikel über das Jobcenter. Waren meine bisherigen Erfahrungen doch meistens unauffällig.

 

Wenn man nicht alles selber macht.

Nach einem Dreivierteljahr beim Jobcenter, im Status der Erwerbsunfähigkeit gemeldet, rege ICH eine ärztliche Begutachtung an. Ich brauche dieses Gutachten, damit die Sozialhilfe sich zuständig fühlt.

Ende September findet die Begutachtung bei einem externen Unternehmen statt.
Nach drei, vier Wochen fange ich an wöchentlich bei der Auskunft des Jobcenter nachzufragen, ob das Gutachten schon angekommen ist. Immer ist nichts ersichtlich.

Bei meinem letzten Anruf vor ca. 4 Tagen mache ich etwas mehr Druck, will wissen warum es so dauert und wie die Erfahrungen mit der Wartezeit sind. Man erklärt mir sehr selbstsicher, dass das am externen Unternehmen liegt. Wenn das Gutachten da sei, reagiere das Jobcenter unverzüglich mit einer Einladung.

Heute rufe ich das externe Unternehmen an. Die sagen mir, dass das Gutachten schon längst erstellt ist. Den Zeitpunkt kann man mir nicht sagen, da keine Daten gespeichert werden. Ich müsse mit dem ärztlichen Dienst des Jobcenter sprechen, wo das Gutachten jetzt liegt.

Ich also wieder die Hotline angerufen und um Kontakt zum ärztlichen Dienst gebeten. Können sie nicht machen. Ja, wie dann? Sie können meinen Wunsch für einen Termin zur Gutachteneröffnung an die Arbeitsvermittlung weitergeben. Man meldet sich dann per Post oder Telefon, um mir den Termin mitzuteilen.

Ja bitte, sehr gerne!

Wieso muss ich das eigentlich alles selbst machen?