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Jetzt. Eine aufgeklappte Leiter in der Raummitte. Darüber eine Lampe die nur noch an ihren Stromkabeln hängt. Radiomusik. Eine Frau die bäuchlings mit angezogenen Beinen und Armen auf dem Boden liegt. Sie schmunzelt und dann fängt sie an zu weinen. Schnitt.
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Ein Sommertag in einer Kleingartenkolonie. Ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, rennt lachend einen Weg in einem Garten entlang. Hinter ihr ihre Freundin. Plötzlich ist der Boden weg. Schnitt.
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Vor zwei Wochen. Die Frau liegt nachts schlafend in ihrem Bett. Sie wacht auf, weil sie etwas gehört hat und schläft dann wieder ein. Am nächsten Morgen entdeckt sie in ihrem Wohnzimmer, dass die Deckenlampe nicht mehr an der Decke hängt. Sie baumelt nur noch an zwei Kabeln. Sie hadert mit dem Gedanken es selbst zu reparieren oder sich Hilfe zu holen und verschiebt diese Klärung auf später. Schnitt.
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Das kleine Mädchen liegt auf einer Hollywoodschaukel. Darum herum stehen Menschen. Darunter sind ihre Oma und die Eltern der Freundin. Sie pullert in ihre Hose und kann nichts dagegen machen. Sie hofft, dass es niemand sieht. Wahrscheinlich steht sie unter Schock. Schnitt.
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Am Tag zuvor. Die Frau liegt auf ihrer Couch. Musik läuft. Sie versucht zu entspannen oder zu schlafen, weil es ihr elend geht. Aufstehen ist nicht möglich. Sie erinnert sich an einen Sommertag in einer Kleingartenkolonie, wo sie damals in ein Kellerloch gestürzt ist. Sie erinnert sich, wie sie auf dem Rücksitz des Autos ihrer Eltern sitzt, auf dem Weg ins Krankenhaus. Vater fährt den Wagen, Mutter sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie erinnert sich, dass sie während sie da sitzt nur aus Schuld besteht. Sie fühlt sich schuldig für den Sturz, für ihre Verletzungen. Darüber fängt sie an zu weinen. Und dann wird sie kurz zornig und fragt sich, wie dass sein kann, dass sie sich für etwas schuldig fühlt wofür sie nichts kann. Sie erinnert sich wie sie beim Arzt sitzt, mit diesem riesigen Schuldgefühl. Der ist der Richter. Er wird entscheiden was wahr ist. Er wird ihr nicht glauben. Er wird sagen, dass doch alles nicht so schlimm ist, sie übertreibe und doch nichts passiert ist. Schnitt.
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Vor ca. 10 Minuten. Die Frau liegt auf ihrer Couch. Musik läuft. Sie öffnet die Augen und spürt, dass Aufstehen jetzt möglich wäre. Dabei fällt ihr Blick auf die Deckenlampe. Heute ist es soweit, denkt sie sich. Heute werde ich es anpacken. Sie kramt das bisschen Glauben an sich selbst zusammen, was sie sich in den letzten zwei Wochen erarbeitet hat. Ich kann das auch alleine. Was soll schon passieren. Ein Schritt nach dem anderen. Das Ziel außer Acht lassen. Dazwischen ist genügend Zeit zum überlegen. Also rauf auf die Leiter und erst mal nur die gebrochenen Dübel von den Schrauben drehen. Unsicher richtet sie sich auf der obersten Stufe der Leiter auf und fängt an am Dübel zu drehen. Sie spürt wie ihr komisch wird. Ihr Herz fängt an zu rasen und ihre Atmung wird kurz und hektisch. Oje, doch nicht etwa ein Panikanfall. Dann mal lieber runter von der Leiter und auf den Boden legen. Dort wartet sie. Der Boden fühlt sich sicher an und es beruhigt sich in ihr. Sie betrachtet die Situation von außen und muss schmunzeln. Wie das für einen Beobachter wohl ausgesehen haben mag? Im nächsten Moment fängt sie an zu weinen. Was ist hier los? Was passiert hier? Schnitt.
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Am Tag davor. Die Erinnerungen laufen weiter, gehen zurück zu dem Sturz. Die Bilder sind lückenhaft. Die Perspektive von oben auf die Situation, außerhalb des Mädchens. Dann wieder sie selbst, spürbar. Das Loch. Die Schwärze. Die Tiefe. Mauerwand an ihrem Gesicht. Jemand steht unten. Sie stürzt auf ihn. Das Gefühl zu fallen. Ihr fällt ihre Höhenangst ein. Nicht die Angst vor der Höhe, sondern die Angst zu fallen. Schnitt.
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Die Frau steht auf. Sie gibt sich nicht geschlagen, setzt sich an den Küchentisch und versucht schreibend die Situation zu erfassen. Vor was habe ich Angst? Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Ich falle von der Leiter. Ich bekomme einen Stromschlag. Ich mache die Lampe kaputt. Ich schaffe es nicht, sie an der Decke zu befestigen. Während des Schreibens beschleunigt sich erneut die Atmung. Wo war bei diesen Dingen die Angst am größten? Ich glaube es war die Leiter. Dieses unsichere Gefühl. Die Entfernung vom Boden. Sie steht auf, schaltet den Strom ab und stellt sich dann erneut, ganz bewusst der Situation. Schon ein Fuß auf der ersten Stufe der Leiter bringt ein Weingefühl hervor. Als sie sich mit beiden Füßen auf die erste Stufe stellt, steigt sofort der Angstpegel, Atmung und Puls spulen sich hoch, mit einem bodenlosen, haltlosen Drehgefühl. Okay, das reicht. Mehr Auseinandersetzung muss nicht sein. Also es ist tatsächlich die Leiter. In dem Moment fällt ihr ihre Erinnerung von gestern ein. Sturz. Fallen. Bodenlos. Höhenangst. Angst.
Ist das heute also eine Reaktion auf die Reaktivierung der Erinnerung von gestern? Interessant.
Dann hole ich mir wohl doch mal Hilfe für die Reparatur. Will vielleicht jemand meine Rolle in diesem Streifen übernehmen? Ich gebe die gerne mal für ein paar Wochen ab 😉