schieflage

zeitlos. sehe nachrichten von mir, die gerade mal 3-7 tage alt sind und mir kommen diese sachen, die ich da schrieb, wie aus einer anderen zeit vor. erst so kurz her?

heute bin ich nicht ganz da. war morgens außer der reihe bei meiner psychiaterin. zähneknirschend, weil ich ihr momentan nicht vertraue, nicht weiß, ob ich dort sicher bin, ob sie mich noch verstehen kann, noch hinter mir steht und nicht ein nächstes wort, ein nächster satz mich weiter destabilisiert (so wie es mir gerade in fast jeder beziehung geht).

war trotzdem bei ihr, weil gestern wieder erstmalig gedanken kamen, dass es angenehmer wäre, nicht mehr da zu sein. und weil mir klar ist, dass ich diese verunsicherungen nur weiter verschleppe, wenn ich sie nicht anspreche. weglaufen ist sinnlos, aber schützt trotzdem eine weile.

es ist okay gelaufen. das heißt, ich habe sie weicher, zugewandter und rücksichtsvoll erlebt. mir sind keine weiteren einstellungen und meinungen von ihr um die ohren geflogen. sie hat zugehört und fragen gestellt. wir haben über die vorkommnisse gesprochen. ich konnte ihr alles erzählen, wie sich meine unsicherheiten und verlassenheitsgefühle zusammen setzen. wie ich was von ihr verstehe, wenn sie die dinge auf ihre art und weise sagt. was schwierig für mich ist. wie basal zerstörend sich das auf meinen selbstwert auswirken kann. sie glaubt, es diesmal verstanden zu haben. ich glaube das auch. das war gut.

und ich konnte endlich mal diesen ganzen berg verzweiflung, wegen all der instabilen beziehungen, wegen der daraus entstehenden unmöglichkeit, mich noch irgendwo entlasten zu können und sicher zu fühlen und wegen dem verlust der inneren beziehung zu fr. s., verbal abladen. ich konnte tränen zulassen. ich konnte vor mir selbst und ihr verbalisieren, dass ich es nicht alleine schaffe, wahrnehmungen und mein selbstgefühl stabil zu korrigieren.

es war diesmal ein hilfreiches gespräch. keine abwehrende reaktion von, sehen sie doch mal dies und jenes und ist es nicht doch auch so und so und alles ja nicht ganz so schlimm. nein, sie hat gehört, zugehört, zurückgespiegelt und in meinen worten und tränen und meinem sein erfasst und mich gefragt, ob es dann also so ist, dass ich regelmäßige unterstützung bräuchte. jaaaa! ich habe es mir nicht mehr getraut, dieses gefühl und diese einschätzung nach außen zu verbalisieren, aus angst, damit zurückgewiesen zu werden. jetzt musste es also anders herum laufen. jemand anderes sagt es, eine person mit ‚rang‘, dann erst darf es sein, ist es ‚richtig‘.

also ließ ich mir auch nochmal bestätigen, dass es eine sehr schwere phase ist, in der ich bin, in der ich auch anrecht auf regelmäßige unterstützung durch eine haushaltshilfe habe und das auch lebensmüde gedanken okay sind, da sein dürfen, ich sie nicht bekämpfen muss, ich nichts falsch gemacht habe und ich auch wöchentliche gespräche bei ihr haben kann und nicht absagen muss.

ich versuche anzuerkennen, dass ich diese bestätigungen von außen brauche und sie keine schwäche, im sinne von selbstabwertung, sind. ich versuche es… (und immer das selbstbild von eigenständigkeit und unabhängigkeit im hintergrund, das bröckelt und bröckelt…)

die schleusen waren so offen, dass ich mich in der praxis erst noch in ein leeres behandlungszimmer zurückziehen musste, um zu weinen und mir zeit zur beruhigung zu lassen, bevor ich mich in der lage sah, nach hause fahren zu können.

seit dem zeitlosigkeit, kontextlosigkeit.

ich habe mir erlaubt, ab heute wieder das paroxetin zu nehmen, nachdem ich eine klärungsphase, mit hilfe von kartenlegungen hatte. die botschaft war einerseits – du darfst dich ausruhen, du hast genug gearbeitet und andererseits – erwarte nicht zu viel. dazu kam ein sehr angenehmes gefühl, unabhängig von den karten, als ich innerlich nachfragte. ich bin nun also im reinen damit.

ich habe den mut gefunden, nochmal bei zwei verhaltenstherapeutinnen wegen eines therapieplatzes anzufragen. ergebnis noch offen.

freitag gutachtergespräch wegen des betreuten einzelwohnens.

grundstimmung ist stark wechselhaft von hoffnungslosigkeit bis seichte zuversicht, von misstrauen bis schwaches vertrauen, von innerer härte, abwertung bis nuancen von mitgefühl und anerkennung. gefühle von starker belastung sind sehr omnipräsent.

die suche nach dem tieferen sinn dessen, was mir hier wiederfährt, gestaltete sich erst sehr schwierig. was lernt man, wenn man aushält? das leben ist hart? das soll die lektion sein? stärke durch härte? durchhaltevermögen durch härte? nein. das überzeugte mich nicht.

um so mehr ich mich in richtung anerkennung für mich selbst bewegte und wahrnehmen, fühlen konnte, was ich trage, nicht was ich ertrage, sondern was ich trage und halte und leiste, umso klarer fühlte ich einen sinn.

anerkennung für mich selbst lernen! selbstannahme! und dann öffnete sich der blick auch auf glauben, demut und hingabe. das ist es was ich lernen kann.

(auch wenn es da grummelt im hintergrund – na toll, es soll lieber aufhören und wieder gut werden)

ich nutze jede erdenkliche hilfe und erhalte auch viel unerwartete hilfe. kleine ungeplante situationen. das kann ich nun wieder sehen. bin ich froh drum. musste mich darum aber aktiv bemühen. der blickwinkel kam nicht von alleine und bleibt auch nicht von alleine. ich darf hier auch noch mal meine tägliche leistung und arbeit würdigen, meine schieflage auszugleichen.

Traurig

Das macht mich sehr traurig.

Morgen ist Ostern bei der Familie mütterlicherseits, mit Osterfeuer und ich möchte wirklich gerne hin, bei meiner Familie sein. So wie dieses Jahr, habe ich mich noch nie darauf gefreut.

So wie es gestern war, wie der Weg zu meinen Eltern mich erschöpft hat und die Zeit bei ihnen anstrengend war, obwohl wir nur etwas Small-Talk hielten und einen Film schauten. So wie ich gestern dann zu Hause an kam, völlig überfordert mit allem, war das eigentlich schon zu viel gewesen.

So wie ich heute unterwegs bin, großes Schlaf- und Ruhebedürfnis, große Anstrengung Essen zu machen und Momente von Schmerz im Herzen und Wut im Bauch.

So werde ich völlig überfordern, wenn ich morgen da hinfahre. Die Anfahrt dauert lange. Es wird mir in den öffentlichen Verkehrsmittel zu viel sein, ich werde überreizt, gereizt dort ankommen, müsste mich sofort zurückziehen. Es könnte sein, dass der Rückzug nichts bessert und ich insgesamt nicht groß Kontakt aushalte, Gespräche nicht führen kann, weil das alles überfordernd ist. Und dann wäre da noch der Weg zurück.

Ach man… 😦

Ich finde das gerade wieder mal gemein und traurig, dass die Symptome mich von bestimmten Dingen abtrennen und es dafür aus Kostengründen keine Lösung gibt.

So sollte es nicht sein. Wenn ich jemanden hätte, der mich hin fährt und zurück fährt, würde ich es auf mich nehmen. Dann gäbe es nur die Belastung vor Ort, die ich ausprobieren würde, weil ich ja keine weitere Belastung hätte.

Und da kreisen meine Gedanken wieder um das Persönliche Budget.

Ich bin betroffen von psychischen Einschränkungen und habe einen Schwerbehindertenausweis (oh, so ein gruseliges Wort). Damit dürfte ich die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme erfüllen. Ich habe nur keine Ahnung, für welche Leistungen Gelder bewilligt werden.

Ich habe den Sozialpsychiatrischen Dienst angeschrieben, um mich dazu beraten zu lassen. Meine Ansprechpartnerin ist gerade im Urlaub und erst ab übernächster Woche wieder da.

Das zu machen, jemandem zu sagen, wo Einschränkungen sind und welche Unterstützung ich mir für mehr Lebensqualität wünsche, ist für mich sehr schwer. Es erfordert, dass ich dieses Gefühl aufrechterhalten kann, es mir wert zu sein und ein Recht auf Linderung zu haben. Es erfordert auch, vor jemand anderem, zu meinem Nicht-können ja zu sagen.

Meine Programme von Selbstabwertung liegen da total nah dran. Es ist wirklich, wirklich schwer es anders zu fühlen. Na mal sehen. Ich schreibe viel auf, was ich dann als Orientierung im Gespräch nutzen kann, wenn mir vor Selbstabwertung und Scham kein Wort mehr einfällt.

Was bildest du dir eigentlich ein!? Wie dreist ist das denn von dir, sowas zu fordern? Das ist anmaßend! Dazu hast du kein Recht!

So in etwa brauste es auch heftig in mir auf, als ich vor ein paar Wochen eine Spenden-Annonce geschaltet habe. Ich traue es mich jetzt noch immer nicht, mich damit richtig zu fühlen, obwohl ich weiß, dass daran auch nichts falsch ist. Es überhaupt hier zu schreiben, holt die Stimmen von oben nach vorne.

Mir ging es so schlecht und es half so sehr Fernreiki zu bekommen, dass ich aus Verzweiflung, dafür eigentlich kein Geld zu haben, diese Anzeige schaltete.

 

Mit Abstand betrachtet, bringen diese Einschränkungen und Krisen immer wieder eine Dynamik in Gang, die Neues ausprobieren lässt. Das ist das Gute daran.

Haushalt

Ich habe doch tatsächlich gerade meine Mutter angerufen und sie um Hilfe in meiner Haushaltsführung gebeten.

Dieser Gedanke war vor einer Woche noch ein absolutes No-Go. Viel zu viel Mutter, viel zu viel Abhängigkeit von ihr, viel zu viel Nähe und Verwicklung von Zuständigkeiten und Privaträumen und sowieso und überhaupt sollte meine Familie aus solchen Dingen herausgehalten werden.

Das die Idee überhaupt im Raum steht, liegt daran, dass sie es mir vor einigen Monaten angeboten hat. Sie fühlt sich ganz langsam und zaghaft in meine Lebensumstände ein und hat dadurch auch mehr von meinen Kraftlostagen mitbekommen.

Da flirrt auch dieses Thema von Macht und Hilflosigkeit. Wer ist groß und wer ist klein? Wer ist in welcher Rolle? Wer darf sich um wen kümmern und erlangt damit auch einen Teil von Kontrolle über denjenigen?

Heute meine Mutter um Hilfe zu bitten, hat sich nicht schlimm angefühlt. Ich habe mich weder klein und hilflos gefühlt und habe mich nicht geschämt, um Hilfe zu bitten. Nur ein klein wenig Schuld flackert herum. In ihrer Schuld zu stehen, wenn sie das tut.

Ich vermute, dass meine Entspanntheit an der Ausgangssituation liegt. Ich bin mit meinem Haushalt gerade nicht panisch, fühle mich nicht überfordert, sondern habe ganz schlicht und einfach festgestellt, dass es nett wäre, etwas Unterstützung zu bekommen, weil die Kraftlosigkeit sich zieht und die Aufgaben sich häufen. Aber es könnte alles auch einfach noch länger herum stehen, ohne das etwas Schlimmes passieren würde, außer dass es mich nervt.

In vorangegangenen Phasen solcher Art, habe ich mit dem Liegenbleiben des Haushalts immer einen heftigen Kontrollverlust erlebt und bin sehr schnell in starke innere Bedrängnis gekommen, da jetzt und sofort Hilfe zu brauchen, weil sonst die Welt untergeht.

Aus diesen Gefühlen heraus, würde ich niemals meine Mutter um Hilfe bitten. Da gebe ich etwas an sie ab, was nicht mehr zu ihr gehört. Denn eigentlich ging es in diesen Zeiten dann immer eher um Beruhigung, fällt mir gerade auf. Das war dann das unsichtbare eigentliche Thema.

Ah ja, und nun muss ich gar nicht beruhigt werden, sondern es geht tatsächlich einfach nur um Entlastung ganz praktischer Art. Ansonsten kann ich erwachsen bleiben und komme damit auch nicht in einen Rollenkonflikt und halte dann auch meine Mutter beim herum werkeln aus. Schön! 🙂

Hahhh!

Ich stelle mich neuen Situationen. Ich gehe bewusst in Situationen, bei denen ich einen Widerstand habe, weil sie fremd und neu sind.

Frau Helferin ist dabei. Das ist schrecklich und gut zugleich.

Wir sitzen gemeinsam im Auto und fahren Orte ab, wo ich mal wieder tanzen gehen könnte.
Der erste Schritt, mich dem anzunähern. Schauen, wo ist das, wie sieht es da aus, wie fühlt es sich an.
Ressourcenaktivierung.

Ich begegne mir, so wie ich mir bisher nicht begegnet bin, weil ich diese Bereiche viel vermieden habe. Lieber auf einen guten Moment warten, der selten, bis nie kam.

Ich fühle Angst.
Ich will keine Angst fühlen.
Sie soll nicht sehen, wie viel Angst ich habe.
Ich kämpfe gegen mich.
Hör auf Angst zu haben. Es gibt doch überhaupt keinen Grund. Hab dich nicht so.
Ich kämpfe gegen sie.
Sie soll das alles nicht sehen. Ich schäme mich. Ich bin doch erwachsen. Ich sollte das doch können.

Gehe erst alleine los, um zu schauen. Sie wartet im Auto. Komme nicht weit. Trau mich nicht durch die erste Tür, weil sie keine Klinke von innen hat. Angst eingesperrt zu sein.
Zurück zum Auto. Projekt gescheitert.
Ich fühle, dass ich hier Hilfe brauche.
Ich will ihre Hilfe nicht.
Ich bin froh, dass sie da ist.
Hin und Her. Hin und Her. Enge in mir. Alles schiebt/drängt sich gegenseitig weg.
Ich könnte schreien, weinen, mich in Luft auflösen gleichzeitig.

Hilflosigkeit. Alles passiert einfach nur noch. Kein Durchblick.

Heraus kommt: Kind sein. Weinerlich. Still. Pessimistisch. Sich winden. Ausweichen wollen. Verstecken. Aufgeben. Widerwille. Sich ziehen lassen. Entscheidungen abgeben.

Noch mehr Angst.
Hält sie das aus, hält sie das aus? Erträgt sie mich so? Bin ich nicht ganz schrecklich so?
Bin ich so? Bin ich so?
Oh Gott, so bin ich (auch)!

Hahhh!

Blitzlichter aus der Tagesklinik

03.09.
Ich will keine Hoffnungen mehr gemacht bekommen!

05.09.
Ich realisiere gerade, nach 4 Jahren, dass ich eine Erkrankung habe, dass ich ein Ungleichgewicht in mir trage, welches ich durch eigene Bemühungen nicht ausgleichen kann. Das ist ein Schock!

09.09.
Ich hatte in der Verbindung zum Göttlichen und zur Erde etwas gefunden, was mir alles gegeben hat, was mir als Kind fehlte.
Und nun sagt mir jemand, das sei nicht echt, es sei sogar böse und würde mich nur täuschen und manipulieren.

11.09.
Ich schäme mich dafür, dass sich das hier so zeigt, dass ich so bin.

18.09.
Rückschläge waren nicht einkalkuliert.

20.09.
Es kommt wie es kommt, doch was ich erfahren habe, kann man mir nicht nehmen.

21.09.
Soviel Weinen und Unfassbarkeit darüber, wie es sein kann, dass ein Glaube trennt und eine Beziehung nichts zählt.

22.09.
Ihre andere Sichtweise bedroht mich.

23.09.
Erkennen von chronischer Erschöpfung/Müdigkeit/Kraftlosigkeit. Erkennen von dauerhafter Grundanspannung, Verunsicherung und Ängsten im zwischenmenschlichen Kontakt. Erstmaliges identifizieren mit der Borderline-Diagnose von vor Jahren.
Ich habe das Gefühl, ich stehe ganz am Anfang.

30.09.
Ich habe so eine Scheiß-Angst diese Bindung zu verlieren, wenn ich mich abgrenze.

02.10.
Mir fehlen Erfahrungen von Grenzen setzen/Position beziehen, ohne den Anderen zu verlieren.

03.10.
Mit mir leben – nicht gegen mich. Getarnte Selbstabwehr, versteckt hinter Fürsorge.

Wenn der Schmerz in den Kopf flüchtet

Wenn das Denken zum Selbstläufer wird.

Wenn das Denken die Umgebung verschwinden lässt.

Wenn das Denken wegführt, von dem was man gerade tut.

Wenn das Denken zur Handlungsunfähigkeit führt.

Wenn das Denken die Stimmung verdunkelt und immer weiter nach unten zieht.

Wenn das Denken die Schmerzen im Nacken und Kopf immer stärker werden lässt.

Wenn das Denken keinen bestimmten Inhalt folgt, sich einfach nur immer enger anfühlt.

Wenn das Denken zu keinem Ergebnis führt.

Wenn die Not darunter stetig zunimmt.

Wenn scheinbar nichts hilft, um wieder den Moment klar zu erleben.

Wenn es dann zu einer Situation kommt, in der man jemandem schreibt, was gerade passiert.

Wenn man dann Gedanken hat, dass man sich nicht so anstellen soll.

Wenn man dann trotzdem von all dem Schwierigem schreibt und es abschickt.

Wenn man dann den Text am liebsten wieder zurückholen will.

Wenn man Angst hat und sich schämt.

Wenn man auch das schreibt und abschickt.

Wenn dann diese Worte kommen: „Danke, das du dich zeigst!“

Wenn das Denken dann ins Herz rutscht und heftig, erlösend weint,

dann hat man verstanden, dass vorher der Schmerz über das Nicht-gesehen-werden in den Kopf geflüchtet war.

Tröster

Ich habe festgestellt, dass dieser Teddy mir wirklich hilft.

2015_04_18 Teddy

Etwas schäme ich mich noch dafür. Scham beinhaltet Abwertung.

Sich mit einem Stofftier zu trösten, sich mit einem Stofftier sicherer zu fühlen, sich mit einem Stofftier verbunden zu fühlen und damit nicht mehr so alleine, das ist doch eine merkwürdige, kindliche Eigenart, bei der ich noch Angst vor dem abschätzigen Gelächter Anderer darüber habe.

Dass das funktioniert und gerade bei mir funktioniert, erstaunt mich selbst.

Ich war vor einer Woche für ein paar Tage weg. Ich packte meinen Koffer dafür. Es passte nicht alles hinein was ich gerne mitgenommen hätte. Doch der Teddy drängte sich mir auf. Es schien wichtig zu sein, ihn mitzunehmen. Dafür musste ich extra noch einen Beutel umhängen, wo er hinein kam. Dafür ließ ich mein heißgeliebtes Meditationskissen zurück. Es schien also wirklich, wirklich wichtig, obwohl mir der Sinn da noch nicht klar war. Und ich auch da schon im Hintergrund mich über mich selbst lächerlich machte. Ich nahm ihn trotzdem mit.

Und tatsächlich, im Reisebus war ich froh ihn versteckt in meinem Beutel auf meinem Schoß sitzen zu haben. Er gab mir das Gefühl, das da noch jemand ist, das ich nicht alleine bin. Ich hielt ihn im Arm, hielt mich an ihm fest. Er bot mir einen Fokus, einen Fixpunkt. Und auch die Tage am Reiseort bot er sich als Sicherheitspunkt an. Wir weinten zusammen und einmal frühstückte er sogar auf meinem Schoß mit mir zusammen, umhüllt mit einer Decke.

Also ich steh da jetzt öffentlich zu. Und damit stehe ich auch zu meinen Gefühlen, die manchmal so sind, dass sie solch ein Objekt tröstend finden. Gut, das sich da etwas gefunden hat.

Über und Unter

Eine Aussage meiner Ärztin ist in mir hängen geblieben. Sie malte mit ihren Händen einen großen Kreis um ihren Kopf. Da oben sei es übermäßig ausgeprägt. Wortgenau weiß ich es nicht mehr. Doch demgegenüber sei es in anderen Bereichen unterentwickelt. Ich musste erst mal schlucken, ob der Wortwahl. Unterentwickelt. Ich bin unterentwickelt. Die Kränkung war dann doch schnell überwunden, doch diese Aussage arbeitete in mir.

Im Grunde hat sie recht, auch wenn ich mit der Wortwahl nicht zufrieden bin.

Mein Geist ist überentwickelt im Verhältnis zum Rest. Ich bleibe auf der theoretischen Ebene hängen. Mein Handeln, mein gelebtes Alltags-Ich ist dahingegen unterentwickelt.
Das interessante ist (und vielleicht wird es hier etwas klarer), dass ich meine Defizite, meine Einschränkungen, meine Herausforderungen schwer wahrnehmen kann. Ich kann mich im Alltags-Ich schwer greifen. Und das macht vielleicht auch Sinn, ist geradezu logisch, wenn die Theorie so weit weg davon ist und ich in dieser Theorie, weil sie überentwickelt ist, eher verankert bin.

So laufe ich also durch die Welt und weiß z.B. ziemlich viel über Ernährung, finde mich da sehr bewandert. Der Grund liegt darin, dass ich selbst damit einige Schwierigkeiten habe und mich deshalb dazu belesen habe. Wenn sich nun jemand mit mir über gesunde und ausgewogene Ernährung unterhält, unterhält er sich mit meinem wissenden Geist und bekommt wahrscheinlich den Eindruck, dass ich da auch in meinem privaten Leben voll den Durchblick habe.

Dieses Beispiel passt so gut, weil ich vor zwei Tagen zum ersten Mal mit Herrn Helfer darüber gesprochen habe. Über meine Ernährung und was daran schwer ist. Den Anlass dazu geben meine momentane körperliche Kraftlosigkeit, Schwächegefühle, zitternde Muskeln und Kreislaufprobleme. Die Ursachen sind schon erfasst. Es ist erstens zu wenig Substanz (53 kg) als Ausgangsbasis vorhanden und zweitens, wird zu wenig Energie zugeführt, um dem erhöhten Energieverbrauch (Arbeit) gerecht zu werden.
Ich habe es bisher noch nie in Worte gefasst und die Auffälligkeiten oder Hindernisse in einem Gespräch zusammen geholt. Sie verstreuten sich bisher am Rande meines Wahrnehmungsfeldes und ich kümmerte mich nicht allzu sehr darum. Gesammelt kam da folgendes zusammen, wobei nicht alle Erscheinungen immer gleichzeitig und durchgängig auftreten, sondern auch hin und her schwanken und sich abwechseln:
Mir ist oft übel. Manchmal ohne eine sichtbare Verbindung zum Essen, manchmal einsetzend während des Essens, manchmal bei der Vorstellung zu essen, manchmal vor Hunger und manchmal (oder immer) aus psychosomatischen Gründen und manchmal kann ich den Grund nicht mehr lokalisieren.
In solchen Übelkeitsphasen verknüpft sich wohl Hunger/Essen mit Übelkeit, was die Lust am Essen killt und schon die Vorstellung Abwehr erzeugt.
Ich bekomme keine Idee, kein Gefühl mehr zum Essen. Weiß nicht was mein Körper will und brauch, was ich kochen soll, worauf ich Lust habe.
Ich stehe im Laden, schaue all die Dinge an, die vielleicht noch vor zwei Wochen ganz von selbst zu mir gesprochen haben – nimm mich mit, ich will gegessen werden, mit mir könnest du dies und das machen – und fühle nur noch Ablehnung und Übelkeit. Nichts scheint mehr zu passen. So kann ich nicht ausreichend einkaufen.
Die Sachen die ich doch eingekauft habe liegen dann zu Hause. Ich habe einen Knoten im Kopf, daraus ein Essen zu kochen, komme nicht ins Handeln. Wahrscheinlich weil immer noch das Gefühl dazu fehlt.
Manchmal koche ich trotzdem. Dann kann es sein, dass beim Essen wahrgenommen wird, dass es doch passt (welch Freude) oder mir wird wieder schlecht. Ich hebe es bis zum nächsten Tag auf. Dann kann es wieder sein, dass mir schlecht wird und ich schmeiße es weg (die Suche beginnt von neuen) oder es schmeckt plötzlich doch.
Hunger spüre ich die meiste Zeit. Das treibt mich auch an und es gibt keinen Tag wo ich gar nichts esse. Würde ich nicht aushalten. Frühstück (Müsli) geht immer. Wenn ich selbst nichts umgesetzt bekomme, versuche ich irgendetwas außerhalb zu essen. Häufig führt das auch zu Schwierigkeiten, wegen irgendwelcher Lebensmittelzusätze die ich nicht vertrage oder der alt bekannten Übelkeit.

Spaß macht das nicht. Der Vorgang des Essens hat sein Leben verloren, ist zur leeren Geste geworden, weil es eben sein muss. Und es ist aufgrund der Hindernisse nie genug.
Es gibt auch andere Phasen. Ich kenne mich ebenso lustvoll und genussvoll essen, mit Freude kochen, reich an Phantasie und Intuition.

Als Lehre aus der letzten Phase des Mangels hatte ich mir einige Vorräte angeschafft, damit ich etwas da habe, wo ich nicht nachdenken muss. Einfach rein in den Topf und essen. Hat einige Situationen überbrückt, aber ist nährstofftechnisch nicht gut in meinem Inneren angekommen. Der Widerstand gegen Fertigprodukte gestiegen.

Ja, nun waren diese Vorräte aufgebraucht, ich erkannte die Ursachen meiner körperlichen Beschwerden, sah auch, dass ich so nicht arbeiten gehen konnte und befand mich gleichzeitig in einem Antriebs-/Schwächeloch, wo mir der Gedanke einkaufen zu gehen unschaffbar vorkam und landete schwups in einem so richtigen tiefen, heftigem Verzweiflungsanfall, dass alles nie wieder gut werden würde, es keinen Ausweg gibt.
Das half mir wiederum mir Hilfe zu holen und mal jemandem von diesem Dilemma zu erzählen, was wiederum dazu führte, dass ich es überhaupt einmal in seiner Breite wahrnahm, aus meinem Übergeist heraus.

Der neue Plan ist – wenn kein Impuls (Gefühl) aus mir kommt, dann muss ich (Geist) eben alles vorgeben, unabhängig von Lust und Laune. Also habe ich mir zwei Rezepte heraus gesucht. Damit stand dann auch fest was ich einkaufen muss und die Hürde des Kochens wurde auch gemeistert. Einmal habe ich mich beim Kochen unterstützen lassen, was immer gut funktioniert.

Darum ging es ja eigentlich nicht, sondern um die Über- und Unterentwicklung in mir.

Über Sprache und Worte aus meinem Geist kann ich Anderen indirekt Fähigkeiten von mir vermitteln, die ich selbst jedoch nicht wirklich mit mir ausfüllen kann. Ich erspreche, erdenke eine Version von mir, die es so jedoch nicht handelnd gibt. Oft komme ich mir subtil vor wie ein Lügner, als würde ich Menschen täuschen, ihnen etwas vormachen und hab keine Ahnung warum. Das könnte der Grund dafür sein. Diese zwei Realitäten in mir, noch mehr getrennt, als vereint. Der Graben zwischen Wissen und Handeln/Sein.
Scham. An dieser Stelle. Vor anderen Menschen. Scham, wenn auch andere sehen, dass das was ich sage, noch lange nicht das ist was ich bin. Das ein Bild von mir zerbröselt, wenn hinter die Worte in mein Leben geschaut werden kann. „Ach, so hab ich dich gar nicht eingeschätzt.“ „Das hätte ich mir bei dir nicht vorstellen können.“ „Das passt gar nicht zu dir.“ „Gestern hast du noch das und das gesagt.“
Davor habe ich Angst. Vor solchen Reaktionen und dass man sich dann von mir abwendet.

Hach… ist das schwer. Ist das schwer mich so disharmonisch anzunehmen.
Ich sehe mich als bleistiftgezeichnete Karikatur, mit einer riesigen Weltkugel als Kopf (keine Ahnung warum gerade eine Weltkugel 😉 ), der auf Grund des Gewichts vor und zurück schwankt, schwer ihn zu halten. Darunter ein dünner Strichmännchenkörper mit durchgeknackstem Bein. Der Kopf kann den überforderten Körper nicht wahrnehmen, weil er zu groß ist, um nach unten zu schauen. Er plant dann Dinge, die nicht zum Rest passen und ist massiv enttäuscht über das empfundene Scheitern.
Mein Denken, Fühlen, Handeln läuft oft nicht synchron. Es entstehen Unstimmigkeiten. Das geht auf meine Kosten und auch auf Kosten anderer. Ich bemühe mich aus einer Einheit zu leben. Es gelingt mir nicht immer, sind doch die Startbedingungen schwierige.
Ich will mir verzeihen, wenn ich dadurch andere verletze und mich selbst. Es tut mir ernsthaft leid.

Der Verstand ist wichtig, der Verstand ist lebensnotwendig.

Ein Verstand losgelöst aus der Gesamtheit von Körper, Geist und Seele führt zum Ungleichgewicht, mit den unterschiedlichsten Auswirkungen.

Mit dem Fluss fließen

Es wird draußen dunkel. Ich fühl mich verbunden mit mir und meiner inneren Stimme. Sie sagt raus. Raus, sofort! In den Wald. Irgendwo hinlegen und Wald fühlen, mich fühlen, erden. Nicht irgendwo. Ich weiß an welcher Stelle. Das Verlangen ist wichtiger, als alle Ängste. Da hinlegen wo dich alle sehen? Bist du verrückt? Und außerdem ist es schon spät. Egal. Zielstrebig und zügig mache ich mich los.

Draußen. Oh! Ob es gleich regnet? Wunderbar! Ist mir recht. Im Wald. Es fängt an zu regnen. In Strömen. Hinlegen passt nicht. Hinsetzen. Fühlen wollen. Viel fühlen wollen. Ich suche nach viel fühlen. Ich versuche das Viel-fühlen-wollen loszulassen. Es ist nicht so wie ich es gerne hätte. Ich fühle nicht so viel, wie ich es gerne hätte. Aber ich finde das okay dazu. Ich fühle das was da ist. Im Raum zwischen meinem Körper und den Dingen im Außen. Da bin ich. Das ist okay. Da bleibe ich. Ich lasse die Augen etwas offen, da ich weg bin, wenn ich sie schließe. Der Regen durchnässt mich, trotz Baum über mir. Ein Feld öffnet sich. Ich öffne mich zu einem Feld, größer als mein physischer Körper. Um meinen Kopf herum oder davon ausgehend. Der Körper bleibt fern. Ohne mein Zutun steigt Freude auf. Ich spüre Regentropfen. Alles ist gedämpft. Aber es ist okay. Ich bin voller Freude. Fange an zu lächeln. Ganz von alleine. Fühle ein großes Lachen wollen. Fühle leben und lachen. Fühle ein lachendes Jauchzen aufsteigen. Ich kann es mir noch nicht erlauben. Es ist okay so.

Ich umarme den Baum unter dem ich saß. Bedanke mich. Auch hier komme ich nicht sehr tief in Kontakt mit meinem Herzen, wie sonst zu anderen Zeiten. Es ist okay. Ich laufe nach Hause. Das Lächeln weicht nicht aus meinem Gesicht. Ich bin glücklich, obwohl ich nicht ganz da bin. Laufe durch den Regen. Weiche Pfützen aus. Wieso weiche ich den Pfützen aus? Meine Füße wollen barfuß durchlaufen. Okay. Dann tun wir das jetzt. Ich ziehe die Schuhe und Socken aus. Herrlich. Ich freue mich noch mehr. Ein breites Grinsen. Es ruft in mir: schaut her, ich traue mich, ich genieße, ich lebe. Ich stehe an der großen Kreuzung. Autos halten. Sehen mich. Ich grinse weiter. Die Scham, die Furcht bleiben im Hintergrund. Was tut sie nur? Erfüllt und zufrieden komme ich klatschnass zuhause an. Das hat gut getan!